Henning Christiansen
1968-00-00
Ophavsmand/nøgleperson
Henning Christiansen
Dokumentindhold
Die Wirklichkeit mal 3 - 4 Episteln über Joseph Beuys' Arbeitsmethoden
Transskription
Henning Christiansen 1968
”Die Wirklichkeit mal 3”
4 Episteln
Über Joseph Beuys’
Arbeitsmethoden
orig.
[s. 2]
A_uch eine falsche Interpretation (I), die aber doch nicht unrichtig und vor allem auch nicht unwichtig ist._
Bei Beuys geht es um Wirklichkeit und Poesie. Die Wirklichkeit reicht bis zur ungeschminkten Härte, die Poesie reicht bis zum zarten Hauch. Die eine lässt sich beweisen, so dass niemand im Zweifel ist, die andere erfordert Denken und Einsicht.
Beuys spricht gerne von "GEGENRAUM" und "GEGENZEIT". Mathematik stellt er der Antimathematik gegenüber, die Chemie der Antichemie, die Physik der Antiphysik und um es auf einen Nenner zu bringen, die Natur der Gegennatur. Er meint mit diesem GEGEN und ANTI eigentlich den Menschen selbst. Es ist der ANTIbegriff und das GEGENÜBERSTEHENDE, die den Raum zum Erlebnisraum machen.Die Zeit als erlebte Zeit: Materie als Psyche. In jeder Poesie findet dieses Gegenüberstehende zur Wirklichkeit statt, wenn wir die gedachte Wirklichkeit als die eine Seite der Medaille und die Wirklichkeit als das Materielle, als die andere Seite der Medaille, als die andere Seite der Medaille verstehen wollen. Die Poesie ist eigentlich die äusserste und intensivste Möglichkeit, um das geschehen zu lassen. Die Poesie wird zu einem Punkt getrieben, wo Raum und Gegenraum, um in Beuys’ Begriffswelt zu bleiben - Zeit und Gegenzeit identisch erscheinen und sie provozieren (erzwingen) die Frage, die absolut nicht überflüssig ist, wo die wirkliche
Welt im Grund ist.
Beuys’ Poesie hat diese schmale Grenze zwischen den Welten der Poesie und der materiellen Wirklichkeit zum Thema. Diese beiden Seiten der Medaille sind eigentlich sein Thema. Dort findet man auch den Grund, weshalb es so schwer ist zu begreifen ist was er will! Er bringt poetische und materielle Mittel zusammen, oder es sieht beim ersten Blick so aus, als fielen sie vollständig zusammen. Im Grunde erreicht er das vorliegende Material durch seine psychische Nichtexistenz und dies erscheint als poetische Existenz.
Hier soll ein bezeichnendes Beispiel angeführt werden: Beuys hat in einer langen Reihe von Werken das Material Schokolade angewandt. Braune Schokolade, die er mit der genau gleichen Farbe ange-
[s. 3]
2
malt hat. Die Grenze zwischen der gegebenen und der gemalten kann man nur bei ganz genauem Hinsehen erkennen. Das Material und das künstlerische Mittel decken sich in der Praxis vor dem Auge. Zwischen beiden ist doch eine Kluft: Hier die Schokolade zum normalen Verbrauch - die eine Seite der Medaille, dort die Farbe als traditionelles Medium der Kunst. Alle seine frühesten Werke zeigen ähnliche Arbeitsmethoden um beide Wirklichkeiten zu erreichen. Sie zeigen auch den Weg, auf dem man in seinem
kontinuierlichen Schaffen suchen muss.
[s. 4]
Auch eine falsche Interpretation (II) , die aber doch nicht unrichtig und vor allem auch nicht unwichtig ist.
Beuys wurde als Zeichner und Bildhauer bekannt......später als “Material-Poet” und Aktionskünstler (Happenings-Demonstrationen). In seinen Skulpturen aus Holz, Schiefer, Stein, Bronze, Stahl, oder Eisen, entdeckt man beim Rückblick, dass er, als etwas bezeichnendes, das Material seine Eigenschaften behalten lässt. Der Entwurf richtet sich nach den Gesetzen, denen das Material unterworfen ist. Das ist bemerkenswert, denn die künstlerische Bearbeitung setzt dies in einer bewussten oder unbewussten Haltung voraus. Das was dazu kommt, ist fast unsichtbar und stimmt mit dem Künstlerischen und dem Material Übereins. Das Wort Materialgesetz ist stark belastet und führt eigentlich an eine ganz verkehrte Stelle, im Zusammenhang mit Beuys gesehen, Beuys bearbeitet das Holz nicht wegen seiner zersplitterten Natur, sondern er verwendet für einen zersplitterten Ausdruck, Holz. Genauso, wie er für etwas Gestapeltes, Schiefer braucht, für ein kompaktes Volumen Stein, für etwas Hautähnliches, Bronze, für die glatte Fläche, Stahl. Diese Zusammenhang ist nicht handwerksmässiger Art, sondern hängt mit dem Inhalt des abstrakten Motives zusammen. Bei dem zermarterten Christus am Kreuz (unter Beuys’ frühen Werken finden sich viele geschnitzte Kruzifixe) benutzt er die zersplitterte Substanz des Holzes.
Wie gesagt, all dies Geschriebene ist meine Interpretation, aber ganz verkehrt, glaube ich, ist sie nicht, wie sich die Sache aus der Sicht der ältesten Werke betrachten lässt, und wie sie sich bei Beuys entwickelt hat. Aber das ist nicht alles. Diese Betrachtungen sehen seine Werke aus einigen bestimmten Aspekten, aber, ohne Zweifel, einigen der wichtigsten und durchgehendsten. Selbst wenn er nicht (ganz) Zeichnung und Skulptur hinter sich gelassen hat, ist es heute doch so, dass man ihn vor allem als “Material-Poet” und Aktionskünstler sieht. Das passt gut zu seinen Intentionen, denn genau hier manifestiert sich seine Idee am stärksten mit den Extrempolen für Wirklichkeit zu operieren. Beuys hat Hunderte von Objekten gemacht. Der Ausdruck Objekt passt ihm nicht, denn der Materialcharakter ist ein wesentliches Glied in dem, was er ausdrücken will. Beuys sieht in der Materialarbeit nicht die Sach- das will sagen, die Objektseite, sondern die Verwandlung, die neue Exsistenzform. Er legt Gewicht auf die Tatsache dass die Medaille gewendet wird, und das die Seite mit der poetischen Wirklichkeit oben liegt.
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Auch eine falsche Interpretation ( III ), die doch nicht unwesentlich und vor allem nicht unzuverlässig ist.
Den schmalen Steg zwischen Wirklichkeit und Wirklichkeit betritt Beuys mit artistischer Sicherheit und einer eigensinnigen, messerscharfen, Konsequenz. Vor allem haben seine Objekte auch einen Bildcharakter. Das Zugefügte oder die Änderung ist noch verhältnissmässig gross. Als Beispiel soll der “Zugeschneite Reiter” aus Ton aus dem Jahre 1958 erwähnt werden. Die Figur kann begriffen werden, obwohl sie für den Zuschauer nicht direkt sichtbar ist. Die Remineszens einer Figur drängt auf, und versucht uns in den Schaffensprozess einer Skulptur hineinzugeleiten und somit in eine wohlbekannte Disziplin. Wir finden uns dabei gut zurecht. Die Skulptur als Disziplin ist eine existierende poetische Wirklichkeit, eine lang gekannte Möglichkeit die psychische Existenz durch die materielle zu begreifen. Solange es noch möglich ist, Beuys' Bild und Skulpturvorstellungen in das traditionelle Rezeptionsmuster einzubinden, wird es auch möglich sein, Beuys' Werke misszuverstehen.
Beim genannten Beispiel kann man auf jeden Fall leicht verkehrte Schlüsse ziehen. Entweder übersieht man die verhüllende Gaze, was bedeute, dass man nicht weiss, was man damit anfangen soll, oder auch sieht man darin gerade das Wesentliche, dann ist es aber auch nicht mehr weit bis zur gleichen vorhin erwähnten Schokolade, die als Beispiel für die beiden gegeneinanderrückenden Wirklichkeiten diente und die die Grundtendenzen in Beuys' Schaffen wiederspiegelten.
So schnell wie wir hier von dem einen Beispiel zum anderen springen, hat Beuys' Entwicklung nicht stattgefunden. Er musste viel wegdrängen, was als künstlerische Konvention aufgefasst und sich somit auch seinem Denken in den Weg stellen konnte, bevor er das beherschte, was wohl kaum ein anderer deutsche Künstler heute kann, nähmlich DIE AKTION.
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Auch eine falsche Interpretation ( IV ) die aber doch nicht unredlich und gar nicht unwesentlich ist.
DEMONSTRATION - ein Ausdruck, den Beuys für seine eigenen Aktivitäten à la Happening bevorzugt - beinhaltet "Objekte", Bewegungselemente, Zeitelemente und Lautelemente. Sie lassen sich natürlich auch in ein kinetisches Werk einbauen, doch muss der Mensch selbst ausserhalb eines solchen bleiben. Der Mensch, wie in der Einleitung festgestellt, wird von Beuys als der psychische Raum angesehen, als die wesentliche Seite der Medaille, anti, als das Gegenüberstehende.
Deshalb verfolgt Beuys die konsequente Linie, wenn er, um sich der psychischen Wirklichkeit zu bedienen, sich des Menschen bedient, um so mit der denkbar grössten Möglichkeit die unmerkbare Überlappung der beiden Wirklichkeiten zu erreichen, denn im Menschen finden sich beide, dort sind sie ohne weiteres identisch. Die Demonstration ist keine spezifische Theaterdisziplin, die Aufführung von irgendetwas durch den Menschen. Sie ist selbst der Gegenstand, Thema der Poesie, durch den Poeten selbst erzeugt.
Im übrigen ist es klar, wenn man Beuys' letzte Entwicklungsphase betrachtet, dass er auch danach sucht, die Demonstration zu überwinden. Als man ihn nach seiner Parteigründung fragte, was diese denn mit seinem künstlerischen Wirken zu tun haben könne, sagte er, es sei ein Missverständnis, wenn man die Partei nicht als ein Kunstwerk begreife. Sie war als ein Kunstwerk zu verstehen, genauso wie seine Arbeit als Professor an der Akademie oder wie jede andere Aktivität die er entfaltete. (Sehr bewusst hat er z. B. seine eigene Biographie mit genau der gleichen Haltung (auch Kunst) geschrieben).
Hier befinden wir uns an einem Punkt der mit dem weissen Kreuz von Malewitsch verglichen werden kann, das er vor ungefähr 5 Jahrzehnten auf einen weissen Untergrund malte, womit er die Malerei zu ihrer äussersten Möglichkeit führte...
Der Kampf/Krieg zwischen dem Materiellen und den geistigen Vorstellungen des Menschen verbindet Joseph Beuys und Ignacio de Loyola im Willen, den Weg für den friedlichen dynamischen Menschen zu bahnen.
Das halbierte Kreuz - die zwei Wirklichkeiten des Menschen - und Element 3 ! - Auch zu Dir fliege ich MANRESA –