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Henning Christiansen

1986-00-00

Author/Key figure

Bernhard Blume

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Bernh. Joh. Blume /Rede auf einer Veranstaltung der Akademie der Künste in München zum Tode von Joseph Beuys

LIEBER BEUYS
Mit dieser [tilføjet i hånden: jetzt schonius uubestimmbare gesprochenen] Formel, verehrte Anwesende, begann auch der letzte Brief an Joseph Beuys, den ich nun nicht mehr abgeschickt habe. Was darin steht, betrifft auch die Münchner Akademie und deshalb möchte ich Ihnen das, sehr verkürzt und darüberhinaus einiges über Beuys selbst zu diesem denkwürdigen und traurigen Anlaß verlesen:
Wie Sie vielleicht wissen,habe ich mir fürs Sommersemester einige Veranstaltungen vorgenommen, bzw. mit Studenten abgesprochen die zum Thema haben sollen: Fluxus/Happening/Aktionismus/Performance und die Rolle der Gegenstände. Kunstformen,die in den 60er und 70er Jahren sich durchsetzten, auch wenn ihre Anfänge in den 20er Jahren liegen und natürlich zurückverweisen auf exotische und magisch-religiös orientierte Kulturen. Besonders die hierin so unterschiedliche Verwendung und Ausdeutung der Materialien [tilføjet i hånden: der] angefertigten oder vorgefundenen bzw. umformulierten Gegenstände, die ganze hier freigesetzte Sprache der Dinge in neuen erfundenen oder besser gesagt neu aufgefundenen Kontexten. Und ein Schwerpunkt soll sein der so mythisch anmutende und derzeit restaurativ ein wenig zugemalte Aktions-und Objektdiskurs, den Joseph Beuys in diesen Jahren entwickelte und weit über den engen Rahmen und die gemütlichen Klischees der Wohnzimmer und Museumskunst hinaus in Gang gebracht hat.
Auch mich übrigens hat er in Gang gebracht damals. Ohne die zwischen ästhetischer und politischer Provokation pendelnden Geschehnisse der 60er und 70er Jahre und ohne besonders seinen Anstoß, auf die Ursachen dieser Unruhe zurückzufragen und damit auf die/auf meine existentiellen Elemente, materielle und ideologischen Bedingungen meines Lebens-ohne seinen Anstoß also wären ich und viele andere, und nicht nur Kunsteleven, kaum zu einem lebenstüchtigeren und menschenfreundlicheren Bewußtsein gekommen. Was nun die Münchner Akademie betrifft, so hatte Beuys mir bei Gelegenheit einer kleinen Zweierausstellung in Düsseldorf am 1. Mai vorigen Jahres versprochen, zu einer gemeinsamen, sozusagen pädagogischen Aktion in die Münchner Akademie zu kommen. Später wollte er an deinen Auftritt in den Münchner Kammerspielen (Rede über Deutschland)- evtl.einen Tag dreinhängen, aber er war schon zu krank und hat mich tags vorher auf eine unbestimmte spätere Gelegenheit vertröstet. Aber nach einem Telefonanruf von Eva Beuys, seiner Frau,habe ich gespürt,daß ich ihn nicht mehr

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sehen würde. Nun müssen wir über ihn reden anstatt mit ihm und es ist ein großer Verlust und ein Schmerz, daß er tot ist. Wie Sie gerade hier in München wissen, und kürzlich wieder erleben konnten, ist die Hinterlassenschaft dieses Künstlers nach wie vor ein Anstoß und eine Provokation. Gerade auch die Gegner solcher Kunst verstehen die Sprache seiner Objekte sehr wohl und wehren sich zugleich gegen die auf diesem Weg an sie gelangte Wahrheit. Also ist es bei Beuys nie bloß ein willkürlicher Diskurs, eine Sprache privater Verrücktheit, sondern offensichtlich liegt in seinem Werk ein verborgener Gemeinsinn der Dinge, etwas verschüttet-Wesentliches, das Beuys in seinen Aktionen und Objektensembles wieder sichtbar machen konnte und zum Sprechen brachte. sozusagen durch einen Kurzschluß der Bedeutungen. - - Dies Wesentliche wird in seinen Zeichnungen,Plastiken, Gegenstandsinstallationen, [tilføjet i hånden: in den] aufgeschriebenen Gedanken, Ideen und Begriffen verständlich als ein Gegenentwurf und eine Erweiterung und als eine große pädagogische und politische Arbeit an der Umänderung unserer individuellen und gesellschaftlichen Denkungsart und Praxis.
Die Ziele seiner Kunstanstrengung lagen also diesseits und jenseits bloßer ästhetischer Betrachtung im wirklichen Leben und in diesem Sinne war sie eine Ästhetik der Vermittlung und überhaupt keine utopistische Handlungsanweisung oder Rezeptur. Eine Rückvermittlungsarbeit und zugleich eine Definitionsarbeit unserer elementaren, aber zivilisatorisch entfremdeten Bedürfnisse und Aufgaben, [tilføjet i hånden: zurück] an die Empfindung und an unser Bewußtsein. Also vermittelt wurde und wird [tilføjet i hånden: über Beuys] Grundsätzliches über unsere organisch-biologische, sinnlich-seelische und geistig soziale Verfaßtheit in Evolution und Geschichte. Die Biographie von Beuys, sein Lebensschicksal und das einer ganzen Generation junger Kriegsteilnehmer, seine Zeitgenossenschaft [i hånden: zum] kollektiven Verbrechen des Faschismus und die sich daran anschließende [tilføjet i hånden: gesellschaftl.] Verdrängungsgeschichte der restaurativen Phase nach dem Krieg haben hei diesem außergewöhnlichen Menschen wohl eine Überprüfung und individuelle Umwertung aller Werte bewirkt. Und so leistete Beuys schon Trauerarbeit, als die deutsche Nachkriegsgesellschaft erst gerade begann, sich im Wirtschaftswunder einzurichten und sich darin schon wieder zu vergessen.
Schon in seinen frühesten Arbeiten nach dem Krieg und in den 50er Jahren zeigen sich die radikalen Fragestellungen und ein instinktives Erfassen und Entdecken der Grundbedingungen menschlicher Existenz. [Tilføjet i hånden: nicht der Folie des modernen Lebens.]

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Krieg und Nachkriegszeit und das Erlebnis des vielfachen Todes waren für den jungen Beuys anscheinend eine schicksalhaftere und nachhaltigere Schule über das, was der Mensch ist und sein kann. Verwundung, frühe Konfrontation mit dem eigenen möglichen Tod, das knappe Überleben durch die Hilfe und Fürsorge sogenannter Feinde, die Reduktion der Bedürfnisse auf das Minimum des Notwendigstem bestimmten diesen Menschen Beuys zu einer Daseinsform des “provozierten Lebens”.
Sein Weltbild gewann in der Folge an Komplexität durch ein zunächst begonnenes naturwissenschaftliches Studium und durch eine Auseinandersetzung mit den alten, besonders naturphilosophischen Systemen. Es erweiterte sich sodann an den systemalternativen Ideen Rudolph Steiners. Seine naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Fragestellungen artikulierten sich besonders unter diesem Eindruck anschaulicher und komplexer. Man kann das in den vielen Zeichnungen nachvollziehen. Im Medium der Kunst differenziert und generalisiert und bestimmt sich der junge Mensch Beuys. Sein Kunstbegriff erweitert sich sehr bald in eine ästhetisch und moralisch provozierte Lebenspraxis, - - Er entwickelt eine Sprache konzentrierter Verlebendigungsmetaphern und -begriffe und bildet Kältezeichen aus für die geistige Stagnation dieser Zeit.
Das wurde später [tilføjet i hånden: noch] verstärkt durch die Zusammenarbeit mit den Fluxuskünstlern. Beuys brachte aber in die Fluxusbewegung eine Dimension humaner Verbindlichkeit ein, die weit über die relativistische Spielpraxis der Fluxus- und Happeningakteure hinauswies. Übrigens auch ein typisch deutscher Beitrag zu dieser internationalen Unruhe, aber im besten menschheitlichen Sinne ernst und nicht verbohrt, kreatürlich und spielerisch. Immer auf [tilføjet i hånden: einen] Lebenszusammenhang [tilføjet i hånden: und eine Praxis] orientiert, die überall nicht mehr einer apokalyptischen Logik von Kriegsdrohung und Umweltzerstörung folgen wollte.
Wir haben zu Beginn einige Fotos von Beuys-Aktionen und Installationen gezeigt, die noch einmal veranschaulichen sollten, wie intensiv und suggestiv Beuys damals und bis heute dies quasirituelle Gestaltungsspiel mit Materialien und Objekten [tilføjet i hånden: und sich selbst] betrieb und hierüber also mit den Instinkten, Empfindungen,Vorstellungen und Gedanken der Menschen, und welche Irritationen und Bewegungen, Lerneffekte und auch Aggressionen er auszulösen vermochte. Gegen die positivistische und ideologische Zementierung kapitalistischer und marxistischer Mythen reaktualisierte Beuys seinerseits den magisch-mythischen Untergrund eines verdrängten Lebens unter unseren toten Objektivationen.

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Es war besonders in den 60er Jahren und noch in den Beginn der 70er jahre hinein eine äußerst wirkungsvolle Form der Veranschaulichung und Aufklärung der immer schon positivistisch Aufgeklärten. Eine solche Kunstpraxis erweiterte sich ganz folgerichtig zu einer Systemkritik linker und rechter Ideologien, einer Entlarvung des Fetischismus von Aufschwung und Mehrwert, Privatkonkurenz und staatlicher Planwirtschaft und dem ganzen hemmungslosen Wachtumskult in allen Industriegesellschaften.
Sein heißer Atavismus im Zeitalter des kalten Krieges und der Versteppung des Planeten war im besten moralischen Sinne fortschrittlich und sein Verständnis von Ökonomie und menschheitlichem Überleben war elementar orientiert an einem noch nicht ganz zerstörten Kreislauf des Natürlichen. Entgegen
einer bis heute kaum irritierten linearen Ausbeutungspraxis der Wegwerfgesellschaften mit ihren Müllbergen —ohne Erinnerung und ohne Sinn für Ökologie als eine Rückgabe, Rückopferung und Wiedergutmachung, wie sie bei den Naturvölkern so stark vorhanden war. Sein Rückblick auf eine Ökonomie vergangener Zivilisationen war aber weder romantisch noch nostalgisch, noch in den
früh vorausgesehenen Konsequenzen + technikfeindlich oder sektiererisch. Sein Kunst war eben nicht ‘interesselos’. Seine ästhetischen Zeichen und Symbole [tilføjet i hånden:sind] hochverdichtete Inbegriffe unserer Daseinsbedingungen und selbstgeschaffenen Umstände. Vertiefte Einsichten ins sogen. Anorganische, über unsere pflanzliche und tierische Konstituiertheit ins soziale-freiheitlich getürmte Leben.
Trotz Fusswaschungen und Priestergesten, Askese und Schamanenhut war Beuys das Gegenteil des Sektengründers und Geistvernebelers. Er konnte seine Handlungen und Ritualbewegungen wenn nötig immer auch durch Lachen sprengen. Er war ein pädagogischer Mystiker und entgegen immer wieder und bis heute propagierten Vorurteilen in den Massenmedien und besonders auch in der intellektuellen Rezeption verquerter Kunstinsider war Beuys alles andere als ein auf [tilføjet i hånden: ein Kunst-] dogma abbonierter und bornierter Verlöser. Und bis zu seinem Tode und darüber hinaus blieb und bleibt er für die politischen Restauratoren und ihre zugeordneten journalistischen Manipulatoren eines “gesunden Volksempfindens” und bequemen Vorurteils: der Künstler als der Spinner, Scharlatan und Millionär- ein Vorwand für ganz andere Machenschaften und im übrigen ein Rätsel. So auch in der Schlagzeile von BILD am [tilføjet i hånden: letzten] Samstag d.29.1: Beuys starb rätselhaften Tod’. An der Oberfläche der dürftigen Feierabendablenkung bleiben Leben, Liebe, Glück,

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Geburt und Tod die immergleiche immer neue Märchensensation zur besseren Verdrängung der Bedingungen des Daseins. Das wirklich Unbegreifliche der Existenz schrumpft immer schnell zum Kreuzworträtsel, diesmal auf Seite 9: Daneben schnell noch über Beuys: er liebte Filz und Fett, stand auf Platz 1 der Künstler-Weltrangliste, bemalte Frankfurter Würstchen mit Fußbodenfarbe und dekorierte Hasenteile mit abgeschnittenen Fußnägeln... Also immer noch und immer wieder die alte Gleichung: Künstler=Spinner oder krimineller Meister in Versicherungsbetrug (Fett schmolz in Einmachglas, Versicherung zahlte über 10000 Mark) und wenn es hoch kommt ist er Hersteller für abartige Fetische in bürgerkich-elitären Kunstsammlungen (das Schicksal bleibt keiner Kunst erspart) oder für Finanzspekulationen und Steuerabschreibungen. Also immer noch Apelle an die Ekelschranke oder die moralische Entrüstung. Der Ekel findet statt und auch den Fetischismus gibt es, als einen toten Hausrat allerdings.
Was Beuys betrifft, steckte er das Geld, solange ich ihn kenne nur immer wieder in Projekte und Unternehmungen, die er für in seinem Sinne pädagogisch, politisch und also für gemeinnutzig hielt. Denken Sie an die Stadtverwaldungsaktion zur letzten Dokumenta in Kassel und viele andere Unternehmungen. Er war mitfinanzierer der Grünen, bezahlte eines ihrer Wahlbüros usw. usw. Den Reibach machen eh und gerade auch bei Beuys die Wiederverkäufer siener sachen und Relikte, die er immerhin auch massenhaft verschenkte.
Aber was uns betrifft, die noch eine Weile Weiterlebenden und insbesondere mit Kunst als einem lebendigen Prozeß befaßten, wir sollten nicht das Werk von Beuys nur noch auf ästhetisch-historischen Sockeln wahrnehmen. Seine Ideen und Einblicke ebenso wie die Wegmarkierungen und Lösungsansätze werden jetzt erst uberlebenswiehtig. Erst gegen Ende der 70er Jahre begann überhaupt ein über die ästhetische Rezeption hinausgehender Prozeß der Aneignung und spontanen Neuerfindung Beuys’scher Auffassungen und Daseinsdeutung. Einiges von dem, was er schon in seinem frühen Werk artikulierte, ist inzwischen selbstverständliches Ideengut einer grossen alternativen Bewegung. Anderes in seinem Zeichen- und Satzzusammenhang muß jetzt dringend erfaßt und verdeutlicht werden, weil es geradezu akut wird. Etwa das Prinzip des weiblichen in seiner Kunst. Seine Akzeptanz und Offenheit gegenüber einem produktiv Chaotischen und Energetischen darin und übrigens frei von maskulinen Ängsten!
Versuchen wir also, auf unsere je eigene Weise so energetisch zu sein Wie er und zugleich so empfindsam und sanft. !

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