Henning Christiansen
1988-03-01
Sender
Ernst G. Herrmann, Ulrike Holthöfer, Alke Reeh
Recipient
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OFFENER BRIEF
Anlaß für diesen Brief ist folgender, vom Senat der Akademie gefaßter Beschluß: Der Raum 2, d.h. das ehemalige Atelier von Joseph Beuys, soll Anfang April zu einem Lehrerzimmer umgebaut werden; die Pläne des Innen-ausbaues sind bereits von Architekten (Haus-Rucker) erarbeitet worden.
Diese Entscheidung und die nun anstehende "Nutzungsänderung" wirft einige Fragen auf, innerhalb der Anstalt, unter den Lehrenden, den Mitarbeitern und innerhalb der Studentenschaft, vermutlich aber auch über die Akademie hinaus.
Warum ist besagter Raum von einer bestimmten Fraktion des Lehrkörpers für ein von ihr gewünschtes "Professorenzimmer" gewählt worden, und warum ist darüberhinaus innerhalb der Akademie vor einer Beschlußfassung nicht diskutiert worden?
Um diese Fragen zu beantworten, muß ein wenig Geschichte dargelegt werden.
Dieser Raum 2 war seit 1961 das Akademieatelier von Joseph Beuys; 1972 wurde Beuys vom damaligen Wissenschaftsminister Johannes Rau fristlos entlassen; erhielt das Anrecht auf den Raum und seinen Professorentitel 1978 nach einem gerichtlichen Vergleich zurück und stellte ihn der FIU (Free International University) zur Verfügung. Sein Verfügungsrecht endete lt. Vertrag mit dem vollendeten 65. Lebensjahr, das er nicht mehr erreichte. Nach seinem Tod nutzte die FIU den Raum bis zum ausgemachten "Jour Fix". Damit endete eine historische Ära, und der Raum wurde wieder von der Akademie verwaltet, gleichzeitig begann eine schleichende Demontage einer bis dahin einzigartigen Einrichtung. Klaus Staeck erhielt eine auf drei Semester befristete Gastprofessur und den Lehrauftrag, sich mit dem "Erweiterten Kunstbegriff" im Rahmen seiner Tätigkeit auseinanderzusetzen.Unmittelbar vor dieser Übergangszeit wurde die dort installierte "Fettecke" zerstört. Am 31.3. dieses Jahres endet die Gastprofessur von Klaus Staeck, und der zu Beginn erwähnte Senatsbeschluß kann in die Tat umgesetzt werden.
Es wird versichert, daß behutsam mit dem "Erbe" Beuys' umgegangen werde, noch rudimentär vorhandene Arbeiten ("Hasenpfote" etc.) sollen erhalten bleiben, Bodenzeichnungen sind jederzeit einsehbar, dafür ist eine Lukie in den noch zu verlegenden Dielen vorgesehen, das Lehrerzimmer sei schlechthin die beste Lösung, den berühmten. "Kollegen" zu würdigen, in geselliger, geschlossener Runde eben. Erscheint diese Argumentation dem Fragenden nicht schlüssig, so wird der Sachzwang, daß nur dieser Raum zur Verfügung stehe, angeführt. Tatsache ist, daß mit der Ratifizierung des neuen Hochschulgesetzes sowohl Senatsbeschlüsse oder allein schon Vorschläge der Raumkommission maßgebend und kaum anfechtbar sind. Das untermauert und verfestigt die
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Restauration des Akademismus, das fördert Geniekult und macht Studenten und Mitarbeiter zu abhängigen Weisungsempfängern,- Meister, Schüler - Herr und Knecht, womit sich erklärt, daß ein von Studenten gemachtes Angebot, diesen Beschluß zu revidieren, ausgeschlagen wurde.
Dieser Raum 2 ist also Anlaß und Anstoß für amen Teil der Studentenschaft, sich mit den geschiedenen Geistern, die sich auf phänomenale Weise durch den Senatsbeschluß offenbaren, auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite die Haltung der privilegierten Repräsentanten (oder der Machthaber), die, obschon sie proklamieren, daß eine Akademie keine Nischen zulasse, sich eine solche maßschneidern lassen - auf der anderen Seite Studenten, die der noch jungen Tradition, Kunst nicht nur als Adaption und Repetition bereits geschaffener Werke zu sehen, verpflichtet sind, sondern Kunst als Prozeß und "technische Möglichkeit, Menschen über die Notwendigkeit ihrer Selbstbestimmung zu informieren" (Beuys), auffassen. Es geht um die Gegenwart und um die Zukunft. Geschichte ist dafür da, daß durch Refleksion Strukturen aufgedeckt werden, in diesem konkreten Fall: kein Museum, sondern mündiges, künstlerisches Denken - die Menschwerdung von Kunst, die Demokratisierung der Gesellschaft. Dieser Prozeß kann und muß an einer Akademie stattfinden, wenn nicht hier, wo dann sonst? Es wird nur eine sinnmachende Weiterentwicklung stattfinden, wenn darüber radikal nachgedacht und gesprochen wird, auch wenn das mühsam und wenig dekorativ ist. Diese Konfrontation zeigt wieder, daß Macht korrumpiert und zu einsamen Entschlüssen führt, eine Kooperation verneint, nicht für nötig hält, oder unterdrücken will.
Die Transformation zwischen Innen und Außen ist natürlich nicht an einen bestimmten Raum gebunden, wie die Leitung der Akademie richtig erkannt hat. Jedoch hat sie in Raum 2 zum ersten Mal an der Akademie stattgefunden, deswegen ist die Forderung, diesen Ort für eine jedermann zugängliche Diskussion über Disziplin der Bildenden Kunst hinaus offenzuhalten, ernstzunehmen und ernst gemeint. "Der König ist tot, es lebe der König"?" (Lüpertz). "Neue Besen kehren gut"? Es geht um Qualität und nicht um Konfektion, um Bewußtsein/heit und nicht Verdrängung, um Austausch und nicht Erstarrung. Ziele erreichen ohne Konflikte? Untaugliche Antworten für gärende Fragen? Die Akademie braucht keine Nischen, weder für Malerfürsten noch für Bildhauerbarone; die Akademie braucht innere Reibung, um tragfähige Ergebnisse zu erreichen, sie ist kein Elfenbeinturm, sondern ein Spannungs- und Expenmentierfeld mit zahlreichen Facetten. Sie läßt sich nicht durch eine Ideologie erfassen oder vertreten, sie lebt von der Vielschichtigkeit der Lehrer und Studenten. Es mag sein, daß sich die perfide Unverfrorenheit
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ufgrund von Privilegien und Status, den Raum 2 zu okkupieren, vorerst durchsetzt, die jetzige Rechtslage spricht eher dafür als dagegen, doch auch der Widerstand wird zunehmen und Wirkung zeitigen.
Was kann gewonnen werden, wenn der Raum allen zugänglich wird, die ein Interesse haben? Verkrustungen können aufgebrochen werden, interdisziplinäre Ideen können eloquent vorgetragen, angegriffen und verteidigt werden, den künstlerischen und gesellschaftlichen Problemen angemessen. Diesen Zweck hat der Raum in seiner Geschichte erfüllt, damit sind neue Fragestellungen aber nicht ausgeschlossen. Hier geht es nicht um ein fertiges Produkt, sondern um das Bedürfnis, Utopien zu entwerfen, auf ihre Anwendbarkeit und Tauglichkeit zu überprüfen; daß dieses Bedürfnis vorhanden ist, hat sich in den letzten Wochen herauskristallisiert.
Die Generation, die heute an der Akademie studiert, hat nicht den Komplex der direkten Konkurrenz mit Beuys. Sie ist eher mäßig als gut über seine Begrifflichkeit informiert. Das zu leisten, hat die Kunstakademie und das Ministerium bereits versäumt, dennoch ist diese Generation nicht ohne Wahrnehmung für seine Bedeutung. Sie hat den nötigen Abstand, sich mit ihm wertfreier, offener zu befassen, ohne sich dabei an der Leichenfledderei beteiligen zu müssen. Das ist eine Chance, die angenommen wird. Es gibt keine einhellige Meinung, kein "nach dem Munde reden" in dieser Angelegenheit für sie, Beuys wird nicht tabuisiert. Der Geist wirkt als Impuls, es geht um KUNST.
Kunstakademie Düsseldorf 1. März 1988
Ernst G. Herrmann
Ulrike Holthöfer
Alke Reeh
Konstaktadresse: Ernst G. Herrmann
Schinkelstraße 73
4000 Düsseldorf 1
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Ernst G. Herrmann
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4000 Düsseldorf 1
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