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Henning Christiansen

1968-01-30

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Johannes Stüttgen

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PROTOKOLL DER VERSAMMLUNG IN MÜNSTER, 30. JANUAR 1968

Am 30. Jan. 1968 fand unter Vorsitz von Professor Joseph Beuys in der Pädagogischen Hochschule I in Münster eine Versammlung der DEUTSCHEN STUDENTENPARTEI statt. An den Gesprächen, die in erster Linie das Parteiprogramm der DSP betrafen, nahmen ausser mehreren Gründungsmitglieder der Partei Dozenten und Studenten der Hochschule teil.
Nach einer einführenden, grundsätzlichen Erklärung der Idee der neuen Partei, deren Entstehung er sowohl an seiner biographischen Entwicklung als Künstler, als auch an den geschichtlichen Zusammenhängen andeutungsweise erläuterte, ging Beuys zu einer Diskussion der allgemeinen Programmpunkte über, für deren Realisation — so Beuys - die Zeit nun reif sei.
1. Das Grundgesetz in seiner reine Form sei für die Partei die reale Basis eines Einsatzes, positiver, organisch-evolutionärer Veränderung der bestehenden politischen Situation und dem noch weitgehend vom 19. Jahrhundert geprägten Bewusstsein der Menschen, deren Beschränkung sich durch die zur Spitze getriebene Einseitigkeit einer materialistisch- positivistischen Orientierung offensichtlich auf die Dauer als immer verhängnisvoller erwiese, Alarmierende Anzeichen dafür sieht Beuys u.a. in der wirtschafte - einheitsstaatlichen Formierungstendenz, der sich alle Staaten ausgeliefert hätten, und der damit im Einklang stehenden, erbarmungswürdigen infallslosigkeit und Ideenarmut der Parteien und Politiker, welche, so degradierte, willfährige Bedienter und Kontrolleure eines in sich geschlossenen, durchmanipulierten Apparatesystems, in der Sorge um dessen reibungsloses Funktionieren, bestenfalls durch vorsätzliche den allgemeinen Überdruss betreffende Korruptionsattacken ihre flache, taktische Manövrierfähigkeit zur Schau zu stellen in der Lage seien, allen geistig Aufmerksamen eine immer unerträglicher werdende Zumutung. Das daraus resultierende Unbehagen vieler, vor allem junger Menschen habe sich bisher in Demonstrationen, Protesten und revolutionären Aktionen mit negativen Äusserungen begnügt, die - wenn auch als Kritik und Anstoss zu neuer Beweglichkeit begrüssenswert — neben ihrer ernstzunehmenden Bewusstmachung der augenblicklich katastrophalen Ubelstände aber auch eine Ratlosigkeit bezüglich deren Verbesserung offenbarten. Die DEUTSCHE STUDENTENPARTEI - als äusseren Anlass zu ihrer Gründung bezeichnete Beuys die Studentenaktionen in Berlin anlässlich des Schah-Besuchs im Juni 1967 - übernehme gleichsam die Anwaltschaft für die richtigen Gefühle der Studenten und

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sehe ihre wesentliche Aufgabe darin, diese vernünftig zu formulieren und ihnen zu positiver Wirksamkeit zu verhelfen. Dies könne jedoch nur in der sorgfältig formenden Durchdringung des vorliegenden Materials geschehen, wozu das auf den Menschenrechten gründende Grundgesetz eine echte Möglichkeit böte, würden erst nie Menschenrechte als Menschenpflichten begriffen und ernstgenommen - ein langsamer, mühsamer, aber der schnellste Weg. Die DEUTSCHE STUDENTENPARTEI sei eine Erziehungspartei. Sie trete für die verantwortungsvolle Erziehung der Menschen zur Mündigkeit radikal ein und erarbeite - in
völliger Übereinstimmung ihrer Mittel mit den von ihr angestrebten Zielen — konkrete Methoden zu ihrer Realisierung, wobei die so erarbeiteten, für weitere Entwicklung offenen Ergebnisse gleichermassen Ziel wie Ansatzpunkte künftiger, ununterbrochener Arbeit seien. Wichtig sei für den Anfang die Tatsache, dass die Partei von allen gewählt werden könne.
2. Nur durch die Selbstverwaltung autonomer Glieder wie Recht (unterteilt in Legislative, Exekutive, Judikative) - Kultur - Wirtschaft (das föderative Prinzip) seien diese Glieder wirklich im Zusammenhang miteinander einsatzfällig und kämen so, voneinander sauber getrennt, zu ihrer wesenhaften Bestimmung einer globalen Wirksamkeit. Solche globale, qualitative Wirksamkeit setze folgerichtig die Zusammenarbeit qualifizierter Fachleute voraus und könne keineswegs von quantitativen Entscheidungen beispielsweise einer Mehrheitswahl abhängig gemacht werden. Dies stehe insofern in keinen Gegensatz zu der Idee einer echten Demokratie, als Demokratie schliesslich die echte, mündige, verantwortungsbewusste Zusammenarbeit aller Menschen meine und sich - bloss quantitativ, zahlenmässig verstanden — selbst
ad absurdum führe, wie der bestehende parlamentarische Obrigkeitsstaay der deutschen Bundesrepublik aufschlussreich demonstriere. Qualifizierte, diesen Zusammenhang überschauende Fachleute müssten herange bildet werden, die Partei fasse alle guten Kräfte zusammen.
3. Im Einklang damit stehe die Forderung der Partei nach dem Abbau nationalistischer Interessen, die den Egoismus einzelner auf einer nationalen, breiteren Basis eigentümlich bestätigten,
4. die Förderung nach absoluter Waffenlosigkeit, deren Verwirklichung die einzige Möglichkeit für die Zukunft der Menschen sei. Waffen seien längst nicht mehr zur Verteidigung eines Volkes, bestenfalls
zur Erhaltung einheitsstaatlicher, nationalistischer Tendenzen nutze, und die Gefahr ihres Einsatzes wie ihr Einsatz selbst hemmten folgerichtig - Beispiele unmenschlicher, ungeistiger Praxis - die Entwicklung und paradoxerweise sogar die Verwirklichung dessen, wozu sie

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vorgegebenermassen eingesetzt würden. Wirtschaftsstaatliche Verhärtung und der völlige Kapitalruin - abgesehen von all dem absurden menschlichen Elend - seien die Folge. Das sogenannte Gleichgewicht der Kräfte sei keineswegs Friede oder die einzige menschenmögliche, wenn auch klägliche Annäherung an ihn, sondern eine bemerkenswert anachronistische Akrobatik auf dem Pulverfass. Die Partei vertrete dementsprechend auch die Interessen der Wehrdienstverweigerer. Krieg als Generator und dynamische Möglichkeit sich gegenseitig bekämpfender Kräfte, gleichsam als ständiger Ausweg aus einer frustrierten Stagnation, verlagere sich auf die geistige Ebene und müsse letztlich in seiner geistige Realität, als Kampf der Ideen begriffen werden. Dies sei seine eigentliche Bedeutung für die Geschichte und Zukunft: jedes Mitglied der Partei würde mehr und mehr in seinem menschlichen Einsatz eine starke, geistige Waffe. Darin bestünde seine eigentliche Macht.
5. Folgerichtig sei die Partei gegen die Notstandsgesetze.
6. Kein Staat in der Welt arbeite zur Zeit mit geistigen, vernünftigen Mitteln für dieses Ziel. Die DEUTSCHE STUDENTENPARTEI wolle damit in Deutschland beginnen, in sorgfältiger Arbeit eines jeden einzelnen an sich selbst und seinem engsten Kreis, der sich ständig erweitert; sie strebe somit die Einheit Europas, schliesslich die der Welt an, was nicht etwa blosse Utopie, blosses Wunschdenken, sonden die reale Forderung und unausweichliche Aufgabe der Zukunft für jeden sei. Der Anfang damit werde nun gemacht in der Gewissheit, das dieser schöpferischen Initialzündung wichtige Reaktionen folgen.
7. Weiter nannte Beuys als Ziel der Partei die Auflösung der Abhängigkeit von Ost und West, was er - im Zusammenhang aller Programmpunkte - als eine der Vorausstzungen wirklich freier Aktion herausstellte, die Erarbeitung neuer Gesichtspunkte für Lehre, Erziehung und Forschung, als Fundament für Weltwirtschaft, Weltrecht, Weltkultur. Die Kunst sei ihrem Wesen nach der Strom, der aus dem Dilemma, den Irrnissen und Schizophrenien der Zeit hinaustriebe; ihr Wirken, zu dem alle Menschen fähig seien, (erzogen zur Offenheit und Mündigkeit) - (alle Menschen sind Künstler! Tatsache + Aufgabe ) - sei die eigentliche Grundlage für echte Entwicklung auf allen Gebieten menschlicher Betätigung, für Fortschritt und Intensität in den Wissenschaften, der Technik, der alltäglichen Arbeit. Dies habe selbstverständlich eine grundsätzliche Änderung des Universitäts- und Hochschulwesens zur Konsequenz. Die Partei kämpfe gegen die Restauration des deutschen Bildungswesens und den Einfluss schulfrem-

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der Mächte auf die Schulen.
9. Das Programm der DEUTSCHEN STUDENTENPARTEI, wie es in einzelnen punkten durchgesprochen sei, könne, fuhr Beuys fort, und müsse gleichen Sinne ständig erweitert und konzentriert werden. Seine Erarbeitung selbst betrachte die Partei als wesentlichen Punkt in ihm. Das formal richtige Schema des Programms würde durch die weitere Arbeit (seine eigentliche Realisierung nämlich) mit Inhalt gefüllt. Seine formale Vollständigkeit würde durch stete Differenzierung immer mehr erreicht.

Das menschliche Denken und Handeln, prinzipiell künstlerisch, müsse in das angemessene Bewusstsein gelangen. Die Freiheit erwiese ihre Realität in ihren geschaffenen Möglichkeiten am Material. Dies sei - so Beuys - Existenz auf der Erde. Formend gelte es, neue Formen zu schaffen; der Mensch habe alles gemacht. Die Frage eines Anwesenden nach dem Weltanschauungscharakter der Partei beantwortete Beuys positiv. Er wies auf die Bedeutung des Unterschieds zwischen sinnlichen und übersinnliche Bereich hin. Jede geistige Information der Menschen untereinander bedürfe ihre materiellen Trägers. Zwischen Geburt und Tod sei die Arbeit der Menschen, dafür zu arbeiten seine selbstverständliche Pflicht. Jeder Mensch, sich in der Entwicklung und unendlicher Arbeit wissend, sei Student: deshalb Studenten partei. Wichtig sei vor allem der Zusammenhang westlicher und östlicher geistiger Strahlungen; ihn zu erzielen sei gerade Deutschland - auch seiner geographischen Lage nach, die ja nicht ausserhalb des geistigen Zusammenhanges zu denken sei und ihre Gründe habe - der geeignete Ausgangspunkt. Es handele sich bei solchen Überlegungen nicht etwa um okkulte Hirngespinste oder Sektiererei, sondern um die reale Sichtung eines bestehenden Materials, das alle Menschen gleichermassen in ihrer Herkunft und Zukunft betreffe.

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Teksten er en transskription, af HC, af en tekst af Johannes Stüttgen. HC takker JS i et brev dateret d. 18. februar 1968.

Joseph Beuys

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