Henning Christiansen
1967-11-30
Sender
Johannes Stüttgen
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Johannes Stüttgen
43 Essen, 30. Nov. 1967
Kleine Hammerstraße 1
Herrn
Eckhart Loer
2 Hamburg 52
Ovelgönne 64
Sehr geehrter Herr Loer!
Haben Sie für Ihren Brief herzlichen Dank! Wenn ich auch in keinem Augenblick daran gezweifelt habe, daß wir mit unserer Arbeit nicht alleine stehen, sind Briefe dieser Art doch immer wieder eine gute Bestätigung, abgesehen davon, daß sie außerdem - ob ausdrücklich oder nicht - die Notwendigkeit zu unterstreichen scheinen, daß sich Menschen mit neuen Ideen, Menschen also, die in der Zukunft prinzipiell künstlerische Möglichkeiten sehen, zusammentun, um in der Gemeinsamkeit ihren ohnehin intensiven Einsatz zu intensivieren. Die Wärme dieser ständig wachsenden Zelle wird bereits Erkaltetes auflösen und alles Wärme-Bedürftige in sich umfangen. Der Entwurf des Menschen vom Menschen wird als politisch wirksame Kraft deklariert, wobei das Politische längst nicht mehr - wie wir es leider bisher gewohnt sind zu erleben - das Teilgebiet bloß gesellschaftlicher Emsigkeit ist, sondern nunmehr als künstlerisches Prinzip alles, nämlich das Menschliche meint. In dem Satz, die Kunst müsse politischer, die Künstler politischer werden, steckt die grosse Gefahr eines spießigen Mißverständnisses, das darin besteht, daß man vielleicht annehmen könne, die Künstler hätten sich nun auch anderswo als in der Kunst zu betätigen. Dieses Mißverständnis wird bei all denen aufkommen, denen nicht klar ist, daß die Kunst ein alles-betreffendes Prinzip, daß die Kunst hinsichtlich des Menschen alles ist und keineswegs ein Gebiet unter anderen ist. Es ist deswegen richtiger, weil eindeutiger, wenn wir darauf bestehen, daß die Politik (das nämlich, was bislang darunter verstanden wurde!) künstlerischer werden muß. (Selbstverständlich nicht nur die Politik!)
Es ist gut, daß Sie zu Beginn Ihres Briefes auf den allzu polemischen Ton meiner Schrift hinweisen, der mitunter das von mir Gewollte untergraben konnte. Sicherlich ist dieser Vorwurf berechtigt. Denn wenn, wie ich ja selbst meine, das Ziel eigentlich schon die Methode ist, darf die Methode eben nun einmal nicht “unter dem Niveau” sein. Sie treffen damit, will mir scheinen, haargenau eine Schwäche,eine persönliche Schwäche von mir, die zwar erklärlich, sicher aber nicht entschuldbar ist. Diese Schwäche besteht im raschen Aufbrausen gegenüber jeglichem Unverständnis. Sie hat den Fehler - und deshalb ist sie ja eine Schwäche - daß sie sich mehr an dem Unverständnis der anderen orientiert als an der Möglichkeit, daß der eigentliche Grund solchen Unverständnisses unter Umständen einzig in meinen eigenen Unklarheiten, die entsprechend unklar vorgetragen und for-
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muliert sein mögen, zu finden wäre - würde ich ihn nur (ein wenig mehr distanziert) auch dort zu suchen bereit sein. Letztlich bin ich natürlich dazu bereit, mag auch dann mein Temperament längst schon ’’vorweggaloppiert” und vieles verdorben haben. Wie gesagt, ich will bestimmt nicht bagatellisieren. Vielleicht aber erweist sich meine Polemik eigentlich als eine Art ’’heiligen Zorns” und ist weniger ein persönliches als ein geistiges Kampfmittel. (Als Konsequenz meines persönlichen Rhythmusses.) Schließlich und endlich ist der besagte Brief an einem einzigen Tag entstanden, und das unmittelbar nach der Parteigründung.
Sie möchten von mir erfahren, inwieweit ich Sie verstanden habe, und ob Sie mich verstanden haben. Ich will mit dem letzteren beginnen, weil ich glaube, daß einiges Grundsätzliche noch zu klären ist. Denn Sie stellen die Tatsache, daß ich mich zur Verwirklichung meiner Grundidee des Mittels einer Partei bediene, als einen “vermeidbaren und vielleicht bedeutungslosen Fehler” hin, der eben diese meine Grundidee in Gefahr bringen könnte. Nun geht aus dieser Darstellung hervor, daß Sie die Tatsache der Partei zwar für einigermaßen unerheblich, immerhin aber für einen Fehler halten, der besser nicht begangen worden wäre. Wie mir scheint, liegt darin ein doppeltes Mißverständnis. Es ist also wichtig, daß wir zunächst
über die Partei reden. Was besagt, daß wir nicht daran vorbeikommen, über Kunst zu sprechen. Was besagt, daß wir über den Menschen nachdenken müssen. Erinnern Sie sich daran, was ich am Anfang meines Briefes über die Politik sagte. Ich wies auf die Gefahr der heute verbreiteten Ansicht hin, die meint, daß der Künstler nicht bloß Kunst machen dürfe, sondern endlich auch in der Politik Verantwortung zu tragen habe. Die Kunst, so heißt es oft, müsse “engagierter” werden. Selbstverständlich drückt sich in dieser Meinung das völlig berechtigte Unbehagen bezüglich eines immer mehr um sich selbst kreisenden, sich selbst genügenden, selbstgefälligen Ästhetizismus aus, dessen kuriose Robinsonade seit jeher nichts anderes war als die arrogante, arrangierte Verwechslung seines behaglich eingerichteten “Inselreichs” mit dem, was Welt eigentlich ist. "Kunst”, die sich zur Zufriedenheit derer, die sie machen, und verletzend für alle, denen Verzückungen dieser Art aus gutem Grund suspekt zu sein pflegen, so präsentiert, war und ist und bleibt der bedeutungslose Restbestand jenes Traumterrains hochgezüchteter Gespenster, das muntere, scheinbar duftende Schlaraffenland lustbegieriger Schöngeister, der glattlackierte, auf Hochglanz polierte, emsig gebohnerte Boden eines von und für im Kreise rutschender, schlindernder Heimakrobaten ersponnener Tummelplatz, (mit Zuschauerrängen - versteht sich! - und mit hohen Eintrittspreisen!), war und ist und bleibt das lang erprobte, zierliche Kreischen eines Berufsidyllikers, der - mit Verlaub gesagt – aus lauter Furcht, seine hübsch hergerichtete, liebevoll gehegte und gepflegte Toilettenpapierrolle zu beflecken, statt Bratwurst und Kartoffeln doch lieber tausend kleine, niedlich präparierte Plastik pillen verschmaust, und dann schließlich seine ununterbrochen abmagernden, verkümmernden Gliedmaßen schlicht zarte schöne Dingerchen nennt, ist und bleibt - um nun auf weitere mögliche
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Vergleiche zu verzichten - kurz: das Gegenteil von Kunst. Und es ist gottseidank — tatsächlich so, daß die Vertreter dieser verlogenen Künstlichkeit nichts mit Politik zu tun haben möchten. Ich bin froh darüber, daß sie sö ’’bescheiden” sind. Aber was liegt näher, gerade bei ihnen das zu beobachten, was Frustration ist? Was also liegt näher, als gerade bei ihnen die Fatalität von Stagnation, von mangelndem Engagement zu durchschauen. Folglich macht man ihnen zum Vorwurf, daß sie sich nicht um Politik kümmern. Eigentlich aber ist weniger die Politik im besonderen, als vielmehr das Leben, die Realität überhaupt gemeint. Sie kümmern sich nicht um die Realität, und das macht man ihnen zu recht und oft aufgrund eines instinktiven Empfindens zum Vorwurf und sagt ihnen deshalb, sie scherten sich nicht um die Politik und seien deswegen mitschuldig an all dem, was sie häufig so hochmütig verachten und belächeln. Bis hierhin mag es richtig sein. Die Gefahr aber, von der ich oben sprach, besteht darin, daß rasch “das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.” Denn derjenige, der darauf hinweist, daß diese “Künstler” politischer werden müßten, muß selbstverständlich wissen, daß es sich bei ihnen gar nicht um Künstler handelt. Daß sie ja eben das zweifellose Gegenteil von Künstlern sind. Daß man ihnen ja, wenn man sie politischer haben möchte, eigentlich vorhält, daß sie viel zu wenig künstlerisch sind. Nur wenn man das weiß, ist der Vorwurf richtig, (ich sage bewußt Vorwurf, weil ich meine, daß Kunst - so verstanden als menschliches, progressives Prinzip – kein Privileg einzelner, begabter Sonntagskinder ist!) Und damit ist das Stichwort gefallen. Prinzip. Man muß einfach wissen, wie hochgradig politisch echte Kunst immer schon war. Ja, daß eigentliche, uns als Menschen betreffende Politik nur dann Politik war, wenn sie künstlerisch war. Daß alles nur deswegen echt ist, weil es künstlerisch ist. Weil es dem Geistigen, das nicht nur unser Gehirn, sondern den ganzen Leib bis zu den Fingerspitzen betrifft, entspricht. Weil es menschlich ist. Dieses menschliche, also künstlerische Prinzip, das unsterblich ist, ist das, was Geschichte macht. Was das immer schon Richtige bewahrt, weil es es weiß, und deswegen vorantreibt. Was Altes immer erneuert. Was, weil es geistig aggressiv ist, tolerant ist und sich dementsprechend dazu bekennt, indem es dies deklariert. Unaufhaltsamer, guter, ständiger Strom. FLUXUS. Was sonst ist die Kunst? Irgendwas Hübsches neben Wissenschaft und so? Irgendein Privatvergnügen genialer Narren, die sich ein Leben lang mit dem amüsieren, was anderen sozusagen bloßes Hobby deswegen sein muß, weil sie ja im 8-Stunden-Zirkel wühlen müssen? Gleichsam die Feiertagserholung von einem exakten Alltagsgehabe? Was sonst verändert?
Etwa die unbestreitbare Tatsache, daß 1+1=2 ist? Die "Erkenntnis” etwa, daß H2O = Wasser ist?
Kann denn etwa die BIOLOGIE eine Auskunft über das LEBENDIGE geben?
Kann denn etwa die CHEMIE eine Auskunft über den STOFF geben?
Kann denn etwa die PHYSIK eine Auskunft über BEWEGUNG geben?
Kann denn etwa die MATHEMATIK eine Auskunft über ZAHLEN (Einheit) geben?
Kann denn etwa die LOGIK eine Auskunft über LOGIK geben?
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Kann denn etwa die HISTORISCHE WISSENSCHAFT Auskunft geben über das, was GESCHICHTE ist?
Kann denn etwa die MEDIZIN (eigentlich, menschlich, richtig) HEILEN, solange sie sich am Modell von Toten orientiert? (Nämlich am vom LEBENDIGEN abstrahierten Körper.)
Kann denn etwa die SOZIOLOGIE eine Auskunft über GESELLSCHAFT geben, solange sie aufgrund ihrer eigenen Definition davon absehen muß, daß es die GESELLSCHAFT ja überhaupt nicht gibt? (Worüber man noch eingehend sich unterhalten sollte. Ich lasse es als These hier jetzt stehen.)
Blieben u.a. schließlich noch PHILOSOPHIE und THEOLOGIE. Die in ihrem Selbstverständnis sich ja immer bereits von den übrigen Wissenschaften dadurch abgehoben haben, daß sie den Anspruch auf Umfassenheit stellen. Die sich immer grundsätzlich auf das Geistige berufen. (Tatsächlich scheint in ihnen Grundsätzliches gewollt zu sein. Sogar mit Recht. Man müsste sich also über das KÜNSTLERISCHE PRINZIP in ihnen unterhalten!)
Wie man sich eben grundsätzlich über das KÜNSTLERISCHE PRINZIP unterhalten müßte!
Schließlich habe ich ja nichts gegen die Wissenschaft. Das wäre lächerlich und borniert zugleich. Ich habe aber etwas gegen die Wissenschaftsgläubigkeit . Die Wissenschaften erfüllen in ihrem festumgrenzten, modellverhafteten, systematisch exakten Bereich ihren richtigen Zweck. Als das MENSCHLICHE abstrahierende Wissenschaften geben sie Auskunft über das den Menschen Abstrahierte. Als das Lebendige methodisch Vergessende geben sie Auskunft über das durch sie postulierte Tote. Es gibt keine Möglichkeit, das causale Prinzip durch sich selbst prinzipiell zu verändern. Will sagen: Wissenschaft bleibt Wissenschaft, egal, was in ihnen zu wissen noch aussteht. Und gerade dies zu wissen ist keine Möglichkeit der Wissenschaft! Das ist - um mit Beuys zu reden - ANTIWISSENSCHAFT.
Wogegen ich mich also richte, ist die neuerdings immer weiter um sich greifende Sucht zur WISSENSCHAFTSGLÄUBIGKEIT. Die Meinung, der exakt definierte Kreis sei eine BOTSCHAFT. Das - wenn auch, wie vorgegeben wird, am LEBENDIGEN orientierte - MODELL habe mehr WAHRHEIT als das LEBENDIGE selbst. Das MODELL, der WÄRMELOSE RASTER könne verändern.. Könne TUN. Das MENSCHLOSE sei ERLÖSUNG.
DIE GEFAHR: DER MENSCH, der das meint und danach handelt.
NIHILISMUS. NICHTS. TOT. KALT. STEIF. SCHLUSS.
PUNKT!
RICHTUNGSLOS. UNGESCHICHTE. PUNKT. PUNKT. PUNKT.
AUS.
Daß die Wissenschaften selbstverständlich ihre ungeheure Berechtigung haben, ist der Umstand, daß das TOTE bezüglich des Lebendigen von ungeheuer großer, grundsätzlicher Wichtigkeit ist.
Aber Wissenschaftsgläubigkeit: "Den Bock zum Gärtner machen.”
”Die Glocken läuten hören und nicht wissen, wo die Kirche steht.”
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"Die Kirche nicht im Dorf lassen.”
"Den Teufel mit Beelzebub austreiben.”
’’Das Kind mit dem Bade ausschütten.”
VORM STEINHAGEL INS GLASHAUS FLÜCHTEN.
SELBSTMORD ALS STEIN DES WEISEN. ALS RETTUNG.
SCHIZOPHRENIE
Sie werden vielleicht vermuten, ich habe den Faden verloren. Lassen Sie mich aber fortfahren, und Sie werden feststellen, wie wesentlich all dies für unsere Angelegenheit ist! (Selbstverständlich möchte ich
Sie bitten, mich dafür zu entschuldigen, daß ich hier nicht die Möglichkeit habe, im Einzelnen auf die fürchterliche Komplexität des im Groben gezeichneten Problems einzugehen. Mich für die eine oder andere Nachlässigkeit oder Ungenauigkeit zu entschuldigen. Denn erstens müßte mein Brief endlos sein, wollte ich Sie, was das betrifft, völlig zufriedenstellen, zweitens wäre dann eine Diskussion überflüssig, drittens ist es ja gar nicht so, daß ich selbst all das schon wüßte! Es kam mir in diesem Zusammenhang mehr auf das Grundsätzliche an, was uns weiterführt. Die eigentlich nicht guten Vereinfachungen mögen dem eigentlich guten Ziel zugutekommen! Der damit verbundene Widerspruch ist mir sicher bewußt. Vielleicht ist er für unser Gespräch schöpferisch.)
Also:
Das Nichttote ist das Geistige. Das Lebendige (im eigentlichen Sinne des Wortes.) Das Lebendige geht immer weiter. Es ist das Prinzip des Lebens. Des wirklichen Fortschritts. Des menschlichen Fortschritts. Es ist schöpferisch, KÜNSTLERISCH. IDEE.
Wenn also etwas Richtiges getan wird, wird es künstlerisch. Getan. Wenn ein Kunstwerk wahr ist, dann deshalb, weil nur das Künstlerische wahr ist. Wenn wir etwas tun wollen, wollen wir es richtig tun. Richtig tun heißt: Im Zusammenhang tun. Heißt: Alles tun.
Heißt: Grundsätzlich tun. Wenn wir etwas Grundsätzliches wollen, weil wir etwas tun wollen, wollen wir künstlerisch sein. Wollen also Menschen sein, weil wir Menschen sind.
Wenn wir Politik tun wollen, wollen wir In die Politik das Künstlerische einführen. Wollen wir Kunst machen. Weil, wenn wir Kunst machen, politisch sind. Manschen sind. Geistige, prinzipielle.
DIE POLITIK MUSS, UM MENSCHLICHE, RICHTIGE, GRUNDSÄTZLICHE POLITIK ZU SEIN, KUNST SEIN. KUNST IST DAS ALLUMFASSENDE, DEN MENSCHEN BETREFFENDE, RICHTIGE, AUSSCHLIESSLICHE, VERNÜNFTIGE.
Nun aber ist die Politik, wie wir sie gewohnt sind, das genaue Gegenteil. Wie und was sie im Einzelnen ist, habe ich in meinem ersten Brief damals versucht, andeutungsweise zu beschreiben. Es bedürfte noch einer näheren Erläuterung und Untersuchung. Ein ander Mal! Grundsätzlich: Die Politik ist das genaue Gegenteil dessen, was wir wollen. In ihr steckt die eigentliche Gefahr der Wissenschaftsgläubigkeit, weil diese in ihr zur Wirkung, zur Verhängnis-
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vollen Wirkung gelangt. Wissenschaft als solche, die korrekt bei sich selbst verharrt, ist ja richtig. Die Politik ist ein stagniertes, langweiliges, menschloses, ideenloses, gefährliches, ungeistiges SACKGASSENGETÄNDEL, TEUFELSKREISEN. Ein Teufelskreis ist ein Teufelskreis, weil in ihm der TEUFEL steckt. Das Bewußtsein erfährt nichts an sich. Es schlägt sich bestenfalls mit Utopien herum. Utopien aber sind nichts anderes als der Modellfall des in sich genügsamen Bewußtseins, das eigentlich nicht mehr will,als es zur Zeit hat. Das eine längst eingerichtete Wohnung bloß noch verfeinern will. Das alles verändern will, bloß sich selbst nicht, ohne zu wissen, daß es das einzige ist, was, wenn etwas verändert werden soll, verändert werden muß. Utopien sind kleinlich. Ohne Hoffnung. Spießig. Uninteressiert. Machen für ein i ein u vor. Sind Meisterdiebe der Zukunft. Klauen die Möglichkeiten des nächsten Augenblicks. Sind Drogen mit drogenspezifischer Erlösung. Machen besoffen. Endstation: Irrenhaus.
Schön und gut, möchte man sagen, wenn das so ist, haben wir halt damit nichts zu tun. Weit gefehlt! Als ob wir allein auf der Welt wären. Im Gegenteil. Wir sind gar nicht so häufig. Unser Stimmenbeitrag ist unerheblich. Wir sind nicht gefragt! Wahlkämpfe werden ja nicht für uns gemacht! Quantität! Nicht Qualität. Draushalten? Vonwegen! Das ist tödlich. Denn es geschieht ja was. Nämlich das Gegenteil von dem, was richtig ist! Das Gegenteil von Kunst. Das betrifft uns in unserem Nerv! In unserem Lebensnerv.
VERANTWORTUNG HAT DER, DER VERANTWORTUNG TRAGEN KANN. UND NUR DER, DER VERANTWORTUNG ZU TRAGEN IMSTANDE IST, WEIL ER WEISS, WAS VERANTWORTUNG IST, HAT SCHULD.
Also: Gerade wir müssen was tun. Müssen dafür sorgen, daß die Politik und alles künstlerisch wird. Schleunigst dafür sorgen!
Es wird so getan, als gäbe es Politik. Machen wir endlich Politik. Eigentliche Politik!
Es wird so getan, als gäbe es PARTEIEN. Machen wir endlich eine PARTEI . Eine eigentliche Partei. Eine menschliche Partei. Eine künstlerische Partei. Eine geistige Partei.
Sehen Sie, wir sind tatsächlich an dem Ausgangspunkt unseres Gespräches angelangt, ohne uns im Kreis gedreht zu haben. Denn: wie kann man, indem man auf die bestehenden "etablierten” Parteien verweist, die Fragwürdigkeit unserer Partei meinen, wo man doch weiß, daß gerade die, die man bei solch einer Beurteilung offensichtlich zum Maßstab macht, das sind, dem jeglicher Maßstab fehlt? Nicht also, unsere Partei ist fragwürdig, weil es die anderen Parteien gibt. Sondern: Die anderen Parteien sind fragwürdig, weil es unsere Partei gibt. Weil es Menschen gibt, die sich nicht programmieren lassen. Die nicht formiert sind, Weil es Menschen gibt. Weil das künstlerische, geistige Prinzip nicht abstirbt.
Weil es die anderen Parteien gar nicht gibt!
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Das hat nichts damit zu tun, daß sie sehr gefährlich sein können. Die Gefährlichkeit von Phantomen beweist längst nicht ihre eigene Realität, sondern die Realität der Schuld, die aus dem Versagen am
Richtigen resultiert.
Sehen Sie nun, wie wenig bedeutungslos und übel gerade die Tatsache der PARTEI ist? Nennen Sie die Partei, wie Sie sie nennen wollen! Sie PARTEI zu nennen ist - gemessen an der Realität der bestehenden Gefährlichkeit der Phantome - immerhin real und sozusagen eine künstlerische Notwendigkeit. Es liegt nahe! Tun wir also – gemäß unseres künstlerischen, umschlichen Auftrages - das, was nahe liegt!
Also: Das zu erzielende Ergebnis bestimmt die Möglichkeiten der Art und Weise des Erzielens selbst und setzt sich als eine solche Möglichkeit Bestimmendes voraus als die progressive Realität eines Noch-Nicht, das immer schon das, was es will, nämlich sein will, tut.
Die Partei setzt sich - dementsprechend schon Ziel - mit dem Zweck als Methode zum. Ziel voraus als Beginn, gleichsam Wirklichkeit eines immer bevorstehenden Ergebnisses in der immer schon erzielten Voraussetzung seiner selbst als stufenweise Erhöhtem und sich so stufenweise Erhöhendem, das wirklich ist. weil es wirkt.
Die Partei ist die Tätigkeit ihrer Zukunft im voraus - prinzipiell - so daß das so tätige Bewußtsein seinen Inhalt als zu erfüllenden Inhalt tut, weil es ihn weiß. Das künstlerische Prinzip integriert sich paradox als ein sich Durchbrechendes - und so fort.
Also: Die so geartete Notwendigkeit des Geistes wird definiert als die Notwendigkeit der Partei.
Die Notwendigkeit der Partei wird definiert als Erpressung.
Die Erpressung wird definiert als Freiheit.
Also: Der Mensch führt die Partei ein.
Der Mensch führt die Partei ein als eine, die den Menschen einführt .
Die Partei führt den Menschen ein.
Der Mensch führt den Menschen ein.
Also: Die Arbeit der Partei ist der Kampf der Ideen
Die Möglichkeit zum Kampf der Ideen ist die Mündigkeit des Menschen.
Die Möglichkeit zur Mündigkeit des Menschen ist Erziehung.
Die Erziehung ist Arbeit der Partei.
DIE REALISATION EINER WIRKLICH CHRISTLICHEN = MENSCHLICHEN = RICHTIGEN WELT.
Ihr Brief hat bestätigt, daß mir nicht alleine sind. Daß wir Zusammenarbeiten können. Daß wir Zusammenarbeiten müssen, wenn wir arbeiten wollen. (So ist beispielsweise ein gutes Bild das Ergebnis eigentlicher, menschlicher, geistiger Zusammenarbeit. Es ist im Zusammenhang. Es ist Zusammenhang.)
Ihre Bedenken hinsichtlich der Partei waren sehr fruchtbar. Sie waren wichtig für die lerrk wichtig für uns. Es gibt keine Propa-
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ganda für die Partei. Propaganda ist das, was wir bekämpfen. Deshalb ist alles das, was ich über die Partei sage, in unserem Sinne, in unser aller Sinne gesagt. Das will nicht heißen, daß ich sicherlich noch durch Kritik usw. nicht zu verbessern wäre. Richtiger zu stellen wäre. Ich bin ja nicht eitel. Aber eben dieses Richtig-Stellen ist ja die eigentliche Arbeit unserer Partei. Insofern ist die Partei im Prinzip richtig.
Deswegen muß ich sagen:
PROGRAMMPUNKT 1:
Entwicklung weiterer Programmpunkte und Arbeit an der Differenzierung derselben.
Das ist nicht theoretisch. (Vielleicht ist die Philosophie nicht ganz unschuldig an der Tatsache, daß Gedanken theoretisch genannt werden?)
THEORIE UND PRAXIS IST IN DER KUNST IM PRINZIP EIN UND DASSELBE. DIESE SYNTHESE IST UNSERE AUFGABE.
Sie sagen so richtig im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit: “Hier hat sich bei meinem Vorgehen ein klassisches Mittel der Politik als sehr unbrauchbar erwiesen: die Diskussion.”
Wie richtig das ist. Aber: Die Konsequenzen? Wir müssen dafür sorgen, daß sich die Diskussion als brauchbar erweist! Das heißt: Wir müssen dafür sorgen, daß eine Politik, in der die Diskussion unbrauchbar ist, verschwindet! Diese Politik also muß verschwinden. Doch nicht die Diskussion! Auf die kommt es ja gerade an. Deshalb dürfen wir jetzt nicht etwa trotzig sein, der Politik die Zunge herausstrecken und einfach auf die Diskussion verzichten! Das wäre ja haargenau die Absicht solch einer Politik! Flugs wären wir integriert. Und dann streckt man uns - mit Recht - die Zunge heraus!
Machen wir uns nicht lächerlich!
Im Grunde wissen Sie ja selbst gut genug, was ich meine; denn Sie sagen an einer anderen Stelle: “Man könnte unser “Programm” vielleicht mit der Bereitschaft zu einer ernsten, intensiven und vor allem flexiblen Arbeitsweise bezeichnen.” Seien wir also bereit, ernsthaft, intensiv und flexibel! Künstlerisch! Das genau ist es, was wir tun. Was wir wollen!
Es ist sehr gut, was Sie da meinen. Es ist sehr gut, daß Sie ”im Gegensatz zu den anderen Kandidaten keine “Wahlversprechungen” machten, keine “Rede” hielten usw. Daß Sie keine “Rede” hielten, ist sehr gut. Es wäre aber angebracht gewesen, statt einer “Rede” eine Rede zu halten. Wissen Sie, was ich meine? Ich meine, wir sollten real sein und niemanden überfordern. Ich meine, wir dürfen einfach nicht darauf verzichten, etwas zu sagen, nur weil sonst soviel Unsinn gesagt wird. Wir sollten tatsächlich etwas sagen.
Meinetwegen auch eine Rede halten. Schließlich müssen wir ja uns der echten Auseinandersetzung stellen. Dürfen ja nicht so tun, als hätten wir diese Auseinandersetzung nicht mehr nötig. Selbstverständlich “wählen wir die Zukunft”. Aber: Wir dürfen nicht so tun, als wüßten wir allein, was die Zukunft sei. Wir brauchen jeden. Es ist unfair, keine Rede zu halten. Ich meine natürlich eine
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richtige Rede. Sie sollten also tatsächlich Diskussionen und Reden machen. Damit das Richtige zur Diskussion gestellt wird. Wie anders stellen Sie sich sonst eine ’’flexible Arbeit’’ vor? Selbstverständlich ist es mit Reden und Diskutieren nicht getan. Aber reden zu lernen, diskutieren, sprechen zu lernen ist doch prinzipiell eine eminent wichtige Aufgabe. Ist doch auch Tat.
(Aber das haben Sie sicherlich auch so gemeint. Ich bin nur der Gefahr von möglichen Mißverständnissen wegen darauf eingegangen.)
Denn gerade der von den anderen so bereitwillig erhobene Vorwurf, wir wollten uns ja doch bloß interessant machen, sei für uns nicht Grund, über sie zu lächeln, sondern Ansporn, ihm sachlich zu begegnen. Wie schnell wird "Zukunft” zu bloßem Geschwätz, wenn sie nicht gemacht wird. Doch dies nur vor allem auch zu meiner eigenen, mich betreffenden Warnung!
Wenn Sie in diesem Sinne Weiterarbeiten, werden Sie richtig arbeiten.
Bitte, seien Sie mir nicht böse, wenn in meinem Brief so vieles offen und nur angedeutet worden ist! Sicherlich werden Sie weitere Fragen haben - ebenso wie wir alle. Wir müssen also weiterreden. Die Unvollständigkeit meines Briefes (auch in Bezug zu Ihrem Brief) ist sicherlich unerträglich - - aber es soll ja weitergehen. Ein Brief hat ein Ende. Unsere Sache nicht.
Meine Frage an Sie: Wollen Sie mit uns Zusammenarbeiten?
In welcher Form?
In der improvisierten, lockeren Form, wie bisher, die ja sehr gut ist?
Oder enger? Was auch sehr gut wäre. Vielleicht nützlicher.
denn: Wir haben ja die Absicht, als Partei gewählt zu werden. Damit nachher niemand sich darauf berufen kann wie bisher (mit Recht), es hätte ja nichts gegeben, was man hätte wählen können. Wählen soll ja zu einer echten menschlichen Arbeit im Politischen werden. Um aber überhaupt 1969 auf die Wahlliste zu kommen, brauchen wir natürlich Mitglieder einerseits, und sehr viele Unterschriften andererseits, die mit der Tatsache, daß wir gewählt werden können, einverstanden sind. Ich glaube, daß da unsere erste Arbeit einsetzt. Konkret. Vielleicht sind Sie bereit, auch in diesem Sinne für unsere Sache, die ja auch Ihre Sache
ist, zu arbeiten.
Wenn Sie wollen, besuchen Sie uns doch einmal in Düsseldorf an der Kunstakademie. Sie sind herzlich eingeladen bei uns. Wir werden uns kernenlernen und über alles reden.
Die Briefverbindung bleibt selbstverständlich aufrechterhalten. Wenn Sie aber einmal nach Düsseldorf (oder zu mir nach Essen) kommen würden, wäre das sehr gut. Sie würden vor allem auch Professor Beuys kennenlernen, der ja der eigentliche Initiator unserer Idee ist.
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Ich glaube, wir haben uns tatsächlich verstanden. Dies wollte ich noch sagen, weil Sie mich um eine Stellungnahme gebeten haben! Herzlichen Dank für Ihren Brief!
ES GEHT WEITER. DIE MÖGLICHKEITEN ÄNDERN SICH VON TAG ZU TAG.
DIE RICHTUNG STIMMT.
Weiter !
Mit freundlichen Grüßen
Facts
PDFTysk
Johannes Stüttgen
43 Essen
Kleine Hammerstrasse 1
Herrn Eckhart Loer
2 Hamburg 52
Övelgönne 64
HC arkiv Møn/HC breve 10