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Henning Christiansen

1967-11-00

Modtager

Dokumentindhold

Åbent brev om militærnægtelse

Transskription

Johannes Stüttgen
KRIEGSDIENSTVERWEIGERER

Essen, November 1967
Kleine Hammerstraße 1

Meine Damen und Herren!

Erlauben Sie mir gleich zu Beginn eine ungewöhnliche Spekulation, die, so phantastisch sie auch immer sein mag, dennoch - wie mir scheint - sehr aufschlußreich für die Ausgangsposition unseres Gesprächs ist! Nehmen wir einmal an, alle Wehrpflichtigen, die - abgesehen von allen damit verbundenen Unbequemlichkeiten - grundsätzlich zu der Absolvierung ihres Wehrdienstes bereit sind (und das sind ja wohl die meisten!), wären kurz vor ihrer Einberufung dazu verpflichtet, vor einem Gremium diese ihre Entscheidung zu verantworten, müßten also ihre Gewissensgründe öffentlich bekennen und vertreten; denn es spricht doch wohl kaum etwas dagegen, daß auch die Entscheidung für den Wehrdienst eine Gewissensentscheidung ist. Nehmen wir also an, solch eine Verhandlung wäre für jedermann Pflicht und im Gesetz verankert! Was - meinen Sie – würde das besagen, und welche Konsequenzen ergäben sich wohl?

Nun, erstens - das springt sofort ins Auge - würden wir alle - sicherlich kein Schaden, wie Sie mir zugestehen werden - nicht nur zur Nachdenklichkeit angeregt sondern sogar gezwungen. Und Bürger, die nachdenken, die denken, dürften doch wohl - meine Damen und Herren - in jedem Staat willkommen sein, der sich zu dem Prinzip echter Auseinandersetzung aller - und das heißt ja doch Demokratie - bekennt - - oder täusche ich mich da? Die Fähigkeit zur Demokratie ist doch wohl die geistige Mündigkeit eines jeden, der sie trägt. Diktaturen legen zweifellos keinen großen Wert auf solche Nachdenklichkeit. Ihr Funktionieren beruht ja gerade in jenem reibungslosen Ineinandergreifen aller vorhandenen Zahnrädchen, die - ausgerichtet nach der Drehung des obersten, alles bestimmenden Rädchens – sich selbstverständlich - gemäß der allesumfassenden Gesetzmäßigkeit der ganzen Mechanerie - drehen und gleichermaßen gedreht werden und durch ihr widerstandsloses Drehen - Rädchen für Rädchen – alles im Drehen erhalten, wobei jedes Rädchen gleichermaßen bedeutend ist, indem es dem Gesamten entspricht, wie es auch wieder, erst einmal dazu gebracht, völlig unbedeutend ist. Totalitäre Staaten legen - und das unterscheidet sie nicht von einer Maschine - Wert auf einen reibungslosen Ablauf; denn - ist erst der gesichert - lässt er sich
zu allem möglichen benutzen und ausnutzen. Sie legen also Wert auf Reibungslosigkeit. Nachdenklichkeit oder das Denken überhaupt ist aber das Gegenteil von Reibungslosigkeit. Es erweist sich ja gerade an Widerständen. Es macht sogar die Widerstände, weil es die Widerstände weiß. Ein Staat also, der auf das Denken der einzelnen in sich Wert legt, kann sich demnach nicht grundsätzlich – also prinzipiell - auf die Notwendigkeit der Reibungslosigkeit berufen; denn sein Prinzip, aus dem er ist, das ihn zu dem, was er ist, macht, ist doch gewissermaßen der Kampf, Kampf im geistigen, also menschlichen Sinne, im Sinne von echter Auseinandersetzung. Es gibt also - und damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück - keinen entscheidenden Einwand gegen die Vorstellung, daß jeder Wehrpflichtige seinen bevorstehenden Schritt verantwortet. (Möglicherweise ist die Frage zu

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stellen, ob dies nun gerade öffentlich geschehen müsse, wo doch das menschliche Gewissen eine derart diffizile, komplexe und intime Sache ist, und kaum für andere einsichtig formuliert werden kann. Nun, von all denen, die den Kriegsdienst verweigern, erwartet man es immerhin - und was den einen recht ist, ist den anderen billig! Wenn man eben der Meinung ist, das Gewissen des einzelnen sei notwendig eine ganz persönliche Angelegenheit, dann bitte sehr – gilt das doch für jeden gleichermaßen. Wenn man aber vom Gegenteil überzeugt ist - warum denn dann nicht auch bei jedem gleichermassen?) Also: Es gibt keinen entscheidenden Einwand gegen die Vorstellung, jeder habe sich öffentlich zu rechtfertigen. Daß dies blot eine Vorstellung ist, und der gewohnten Realität nicht entspricht – das - meine Damen und Herren - ist eben für diese gewohnte Realität äußerst aufschlußreich!

Und damit bin ich schon beim zweiten Punkt. Was nämlich würde geschehen, wenn sich jeder rechtfertigen müßte? Ich bin gewiß nicht so hochmütig auzunehmen, daß es nicht bestimmt den einen oder anderen gibt, der tatsächlich in der Lage wäre, seine Entscheidung für den Wehrdienst zu begründen - und zwar mit echten und nicht bloß utilitaristischen – d.h. den eben genannten reibungslosen Ablauf betreffenden Argumenten. Aber - und das ist meine feste Überzeugung - die Bundeswehr wäre sicherlich ziemlich ineinandergeschrumpft. Denn die Erfahrung lehrt, daß Nachdenken bei weitem nicht so populär ist wie es notwendig ist, weil nämlich seine Notwendigkeit einzusehen, wiederum Nachdenken erfordert. Und Nachdenken ist ebenso - wie es das Gegenteil von Reibungslosigkeit ist - das glatte Gegenteil von Bequemlichkeit. Und wie es mit der Bequemlichkeit steht, darüber ergebe sich jedes weitere Gespräch! Etwas, das, weil man es und wie man es gewohnt ist, vernünftig ist, ist selbstverständlich. Etwas, das selbstverständlich ist, darüber pflegt man nicht nachzudenken. Und selbstverständlich ist, daß das Selbstverständliche kein Problem ist. (Der Mehrzahl kein Problem ist.) Und was der Mehrzahl kein Problem ist. ist populär, Ist sozusagen der breite Strom. Und - meine Damen und Herren - der Kriegsdienstverweigerer schwimmt gegen den Strom! Das macht ihn unbequem. Und was den meisten unbequem ist, darüber sehen sie sich genötigt nachzudenken. Und weil eben gerade das Nachdenken darüber noch unbequemer ist, die meisten aber zum Nachdenken zu bequem sind, weil sie ja gerade nichts anderes als Bequemlichkeit anstreben, tun sie was anderes als Nachdenken: sie machen sich – entschuldigen Sie das Bild! Einen – wie man so sagt – einen Reim darauf. Und dieser Reim, den die meisten sich auf etwas machen, ist schlicht: ein Vorurteil. Etwas also, das vor dem Urteil, vor dem Nachdenken stehenbleibt. Wen also soll es wundern, wenn Kriegsdienstverweigerer für unrealistische Phantasten,
für bemitleidenswerte Fanatiker, für weltfremde Kosmopoliten, für pubertäre Weltverbesserer gehalten, und auch so behandelt werden? Wen soll es wundern, wenn sie belächelt werden. Beschimpft werden? Denn lächeln und schimpfen war seit jeher die angenehmste Weise, einer Auseinandersetzung auszuweichen.

Sollte gar am Beispiel des Kriegsdienstverweigerers etwas für uns alle in dieser unserer Demokratie Typisches und Symptomatisches deutlich geworden sein= Ein fataler Gedanke.

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Kommen wir aber zu den eigentlichen Gründen, die eine Kriegsdienstverweigerung notwendig machen könnten, wenn man sie nur recht bedenkt. Vergessen wir nicht: Der Kriegsdienstverweigerer schwimmt gegen den Strom! Das erschwert seine Argumentation von vornherein, benachteiligt ihn von vornherein, namentlich, wenn der Strom auch noch gesetzlich befürwortet wird.

Es gibt zwei grundsätzlich einander entgegengesetzte Verhaltensprinzipien der Menschen in dieser ihrer Welt. Die einen betrachten die Realität als eine vorgegebene Notwendigkeit, in der man nur bestehen kann, wenn man sich möglichst widerstandslos in sie einfügt und mit den Methoden, die diese Vorgegebenheit von vornherein - woran nichts zu ändern ist - bereitstellt, so geschickt wie möglich hantiert, um dadurch in dieser vorgegebenen Wirklichkeit den für sie höchstmöglichen Platz zu ergattern. Sie finden sich damit ab und machen - wie man so schön sagt - das für sie Beste draus. Sie verändern also grundsätzlich nichts. Sie sind mit dieser Notwendigkeit einverstanden oder nicht einverstanden. Die, die glücklicherweise einverstanden sind, wollen selbstverständlich gar nichts ändern, und die, die nicht einverstanden sind, sind dann die Pechvögel, die zwar etwas ändern wollen, aber aufgrund der Kenntnis, daß sie ja nichts ändern können, schließlich resignieren. Normalerweise sind- und das ist ein anderer Aspekt – alle die, die so geschickt mit den Methoden dieser unabänderlichen Wirklichkeit umzugehen verstehen, daß sie es innerhalb dieser unabänderlichen Wirklichkeit zu etwas gebracht haben, oder vielleicht auch bloß Glück gehabt haben (Schließlich könnte man ja auch im Lotto gewinnen!), dann, auch einverstanden, wie entsprechend die Versager oder nicht so Glücklichen eben nicht einverstanden sind. Was aber beider Gruppen miteinander verbindet, ist die Tatsache, daß sie sich grundsätzlich abfinden, daß sie jegliche Verantwortung für das, was ist, ablehnen und folgerichtig auch auf ihre Unschuld verweisen. Weil sie aber aufgrund ihres Arguments, sowieso nichts verändern zu können, tatsächlich nichts verändern - halten sie sich doch in all ihrer Emsigkeit - vorsorglich an die für sie unabänderlichen Spielregeln, weil sie also prinzipiell nichts verändern, sind sie eigentlich prinzipiell unschöpferisch. Es sind die, die sich immer auf die Umstände berufen. Welche nur bezüglich ihrer eigenen Position etwas tun. Welche bloß ihre Bedürfnisse befriedigen. Wobei die Bedürfnisse selbstverständlich wiederum die Folgen dieser unabänderlichen
Vorgegebenheit sind. Es sind alle die, die bloß reagieren, nicht agieren. Die sich treiben lassen. Und das sind die meisten. Die meisten lassen sich treiben was, wie gesagt, ihrer Geschäftigkeit nicht widerspricht; denn, weil es sich in einem Hausboot oder einer Yacht bekanntlich besser treiben lässt, ist es natürlich ratsam, sich um ein Hausboot schleunigst zu bemühen. Es sind die, die sich treiben lassen, sich treiben lassen in dem großen, breiten Strom. In eben dem Strom nämlich, gegen den zu schwimmen ja - wie wir sahen - so lächerlich ist. Es baut also jemand eine Waffe. Er möchte stärker sein als der andere. Das ist natürlich für den anderen von Nachteil, Folgerichtig baut der sich eine - wenn nicht bessere - so doch mindestens gleichwertige Waffe. Für

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den Notfall - versteht sich. Weil aber der andere seine Gesinnung deswegen längst noch nicht geändert hat, also weiterhin stärker sein will als der eine, baut er also eine noch bessere Waffe. Usw. Die Menschen waren, was die Verbesserung ihrer Befriedigung anbelangt, immer bewundernswert erfinderisch. Und weil sie ja zu steigern ist, wenn man die Kuh neben sich am Futtertrog ein wenig zur Seite stupst, und weil man dazu eben nun einmal ein wenig kräftiger sein muß als die, weil also das Prinzip der Gewalt dem Prinzip der Befriedigung keineswegs widerspricht, ist der Bau von Waffen nur folgerichtig. Widerspricht der Bau von Waffen also dem Hausboot überhaupt nicht. Denn gerade weil das Hausboot von den Waffen bedroht wird, ist es ratsam, sich selbst Waffen anzuschaffen und diese noch zu verbessern. Natürlich zur Verteidigung, versteht sich. Und Angriff ist die beste Verteidigung, versteht sich. Das heißt: Wer auf das Hausboot Wert legt, ist mit den Waffen einverstanden. Der uns allen hinreichend bekannte Teufelskreis ist da! War von Anfang an, lebt man nach diesem Prinzip, nicht zu vermeiden! Die daraus entstandene Situation ist hochaktuell. So aktuell, daß es - vordergründig betrachtet - glatter Selbstmord wäre, den Versuch zu machen, aus diesem Teufelskreis - oder, wie es seriöser genannt wird, diesem immer höher getriebenen Gleichgewicht der Kräfte - auszubrechen. Vergessen wir nicht: Der Teufelskreis, heute hochgeschraubter und bedrohlicher denn je, ist nichts anderes als die Konsequenz jener Gesinnung, die sich, weil sie sich grundsätzlich mit allem abfindet - also resigniert - bloß innerhalb der ihr gegebenen, vorgegebenen Grenzen betätigt. Was sie für Fortschritt ausgibt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die fragwürdige Verkomplizierung dessen, was eigentlich noch nie anders war. Fortschritt in der Entwicklung ihres Hausboots einerseits, Fortschritt in der Entwicklung der Gefährdung dieses Hausboots andererseits. Beides hält sich die Waage und nichts ist gewonnen. Also: Kein Fortschritt.

Was dies betrifft, unterscheidet uns vom Affen nichts als jene Intelligenz, die raffiniert genug war, die alte Affenausweglosigkeit immer weiter, schließlich in rasendem Tempo zuzuspitzen. Unterscheidet uns also vom Affen nichts. Denn, das habe ich gezeigt, sie ist ja das Ergebnis bloßer Befriedigung vorgegebener, von der Umwelt, die für unabänderlich gehalten wird, diktierter Bedürfnisse. Was freilich den Affen betrifft, kann er ja offenbar tatsächlich nichts an der Umwelt ändern. Was den Affen betrifft, wohlgemerkt!

Und mitten in dieses stagnierte Dilemma trat plötzlich ein Mensch und sprach: “Wenn Dir jemand auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch noch die linke hin!” Nicht wahr, meine Damen und Herren, ein Narr! Einer, der anscheinend nicht weiß, was gespielt wird. Der offenbar lebensmüde ist. Tatsächlich, zu solch einem Urteil kann man kommen, wenn man - ja, wenn man aus der oben beschriebenen Position heraus urteilt. Denn jedes Urteil setzt ja einen Maßstab voraus. Der Maßstab in diesem Fall war ja jener verhängnisvolle, selbstverständliche Teufelskreis. Maßstab, weil selbstverständlich. Meine Damen und Herren: Selbstverständlich? Maßstab? Wissen wir auch, was das bedeutet? Das heißt doch: Den Affen zum

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Maßstab machen. Dürfen wir - entschuldigen Sie - so bescheiden sein?

Es gibt nämlich auch eine andere Gruppe von Menschen. Das sind diejenigen, die keineswegs davon überzeugt sind, nichts ändern zu können. Weil sie wissen, daß sie das, was ist, verantworten müssen.
Weil sie wissen, daß sie Menschen sind. Weil sie wissen, daß sie gegen den Strom, der scheinbar jeglicher Verantwortung entledigt, schwimmen müssen. Weil sie wissen, daß seine Richtung falsch ist. Weil sie wissen, daß sie - im Gegensatz zum Affen - viel, viel mehr wollen als das, was ihnen die Vorgegebenheit bieten könnte. Weil sie nicht bloß satt werden wollen, nicht bloß bequem. Weil sie sehr anspruchsvoll sind. WTeil sie geistig sind. Nur vom Geist ist Fortschritt zu erwarten, das ist völlig klar. Denn die Natur kann aus sich heraus sich bloß im Kreis drehen. Wahrheit wird nicht in dem, was vorgegeben ist, entdeckt, sondern Wahrheit wird gemacht. Diese Menschen also sind als Menschen wirklich, weil sie wirken. Sie wissen ihren menschlichen Auftrag: Weg vom Affen! Sie wissen, daß sie das wollen, was sein soll. Nicht das, was immer schon war. Sie wissen, daß sie verändern können. Auf die Gefahr Ein, ihre Bequemlichkeit dafür opfern zu müssen. Sie legen nämlich auf diese Bequemlichkeit kaum einen Wert. Denn Bequemlichkeit bedeutet Stagnation. Stillstand. Teufelskreis. Schluß. Affentheater. Sie sind keine Krämerseelen, keine Kaufmannsgemüter. Lehnen jedes äffische Konkurrenzdenken ab. Sie wissen nämlich, daß sich menschlicher Kampf woanders abspielt als im Schützengraben. Oder im Hausboot. Die Richtung ihres Prinzips ist nach vorn. Und nach vorn heißt in diesem Fall: Gegen den sich nach rückwärts, nämlich am Affen orientierenden Strom. Wenn Affen lachen könnten, lachten sie sich angesichts solcher Narren kaputt. Oder zertrampelten sie: Sie sind ja die Mehrzahl. Nicht Qualität, sondern Quantität. Sie machen den Mangel an radikalem Denken durch ihr radikales Mengen - plus wieder wett. Der Hammer ist ein nützliches Werkzeug. Genau wie ein Schiff mit Atomantrieb ein nützliches Werkzeug ist. Auch zum Totschlägen ist er sehr nützlich. Genau wie eine Bombe. Also: Das Werkzeug selbst ist noch nicht alles. Noch längst kein Fortschritt. Fortschritt ist erst das, wozu man sich entscheidet.

Ich sagte, die Menschen, die Wert darauf legen, solche zu sein, wollen verändern, weil sie wissen, daß man nie genug Mensch ist, um es nicht immer noch mehr werden zu können. Sie wollen die Spitze, weil sie sich das schuldig sind. Weil sie das noch schuldig geblieben sind. Wenn man aber etwas verändern will, muß man an der Wurzel verändern, muß man grundsätzlich ändern. Das kann aber nur geschehen, wenn man das Grundsätzliche kennt. Das ist nämlich das, was den Menschen zum Menschen macht, ihn nämlich vom Affen unterscheidet: das Bewußtsein, der Geist. Also muß man mit geistigen Mitteln etwas ändern. Auf die Gefahr hin, daß man gekreuzigt wird, meine Damen und Herren. Zugegeben, das klingt sehr radikal und kaum realistisch. Aber erstens gibt es immerhin einige, die das getan haben, weil sie wußten, daß Kreuzigung in Wirklichkeit ja Auferstehung ist, und zweitens rede ich ja immer noch von einem Prinzip, an dem wir uns orientieren müssen. Daß dieses Prinzip uns weit voraus ist, besagt ja bloß, daß wir ihm hinterherhinken, daß

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wir also ja noch reichlich schwächlich sind. Daß wir ja gerade das ändern müssen. Daß wir ja gerade jene Wirklichkeit, die uns zu Schwächlingen macht, ändern müssen. Denn wir wissen, wenn jemand an solch einer Wirklichkeit schuld hat, dann doch wir! Weil wir nämlich noch viel zu oft ihr nachgeben.
Was im Konkreten zu tun ist, darüber soll noch gesprochen werden. Denn - meine Damen und Herren - ich bin tatsächlich der Meinung, daß etwas getan werden kann!

Ehe Sie nun freilich den Verdacht hegen, ich sei vom Thema abgekommen, will ich endlich wseder von den Kriegsdienstverweigerern sprechen. Denn ich habe keinen Umweg gemacht, weil man nur – wie mir scheint - von dem bisher Gesagten her über sie sprechen kann. Das werden Sie sofort einsehen!

Sie werden nämlich feststellen, daß ich auf etwas ganz anderes hinauswill als auf soetwas, dem man im Laufe der Zeit den Namen Pazifismus gegeben hat. Das hat selbstverständlich seine Gründe. Der Pazifismus -meine Damen und Herren - ist mir viel zu wenig. Weil er eigentlich längst noch nicht grundsätzlich genug ist. Wenn also jemand - und das entspräche ja dem Pazifismus – den Dienst an der Waffe verweigert, weil er sich weigert, Menschen zu töten, hat er - das muß wohl zugegeben werden - irgendwie ein völlig gesundes Gespür für das, was richtig ist - aber er bleibt - was mir persönlich ein wenig willkürlich erscheint - an einem Punkt einfach stehen. Er ist nicht prinzipiell genug. Ihm ist eigentlich die Tatsache, daß das Töten von Menschen die folgerichtige Konsequenz der Tatsache jenes Hausboot-Ehrgeizes ist, nicht klar. Denn wäre sie ihm klar, würde er seine Kritik nicht am Töten, son dern eben am Grund für dieses Töten ansetzen. Und der Grund ist ja wie gesagt, die ungeistig verlagerten Bedürfnisse der meisten Menschen. Und ungeistig heißt doch unmenschlich. Dementsprechend ist natürlich auch das Töten unmenschlich. Das ist klar. Der Pazifist müßte wissen, daß es um mehr geht als bloß um unmoralisches Handeln. (Selbstverständlich geht es um unmoralisches Handeln. Vorausgesetzt, man versteht unter Unmoral das dem Geistigen grundsätzlich entgegengesetzte Handeln.) Folgerichtig begegnet man dem sogenannten Pazifisten mit dem Hinweis, daß er ja dadurch, daß er das Gleichgewicht der Kräfte stören möchte, in Wirklichkeit ja gerade dadurch Menschen toten würde. Denn Menschen toten - das entgegnet ihm jedermann - will ja niemand. Und das ist sogar richtig.

Das Militär ist ja schließlich – gemäß der Gesetzmäßigkeit des heute zur Spitze getriebenen Teufelskreises, in dem ein Angriff tatsächlich Selbstmord wäre - das Militär ist ja schließlich gerade dazu da, um das Töten von Menschen zu verhindern. Kein vernünftiger Soldat verwechselt zwar diesen Zustand auf dem Pulverfaß mit Frieden, aber er weiß, daß dieser Zustand Immer noch besser ist als tatsächlich ausgetragener Krieg. Ich befürchte, der Pazifist unterschätzt erheblich die Moral der Soldaten. Er wird dementsprechend auch sehr leicht in die Enge getrieben. Das besagt zwar nichts gegen die Redlichkeit seiner Gewissensgründe - denn die sollten, wie ich meine, trotzdem toleriert werden - aber es besagt etwas über die Unvollständigkeit seiner Position. Selbstver-

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ständlich ist mir ein Pazifist tausendmal lieber als einer, der aus lauter Gedankenlosigkeit eine verhängnisvolle Sache unterstützt .

Also: Menschen töten will niemand. Sehen wir einmal von all den ewig Unverbesserlichen ab. Aber: Ein auf materiellen Fortschritt bedachtes System - und das sind alle Staaten zur Zeit, weil es die meisten Menschen sind - ein solches System hat zur inneren Konsequenz das Töten. Sein Prinzip ist sozusagen der Tod, weil es tödlich ist. Sein Prinzip ist das Gegenteil von Leben, weil essich am Ungeistigen orientiert. Denn lebendig ist im eigentlichen Sinne eben nur der Geist. Wir wollen also nicht das Töten von Menschen abschaffen; denn das will jeder, und niemand hat es erreicht. Wir wollen das so geartete System abschaffen, weil wir damit natürlich auch das Töten von Menschen abschaffen. Wir wollen also diese verteufelte Gesetzmäßigkeit abschaffen, bei der das Töten bloß die Konsequenz ist. Es ist doch klar: Ein Teufelskreis ist deshalb ein Teufelskreis, weil in ihm der Teufel steckt. Sein Gesetz ist verteufelt. Das sind nicht nur Tautologien oder Sophismen, sondern es charakterisiert unseren Zustand: In dem nämlich der Teufel steckt. Der Teufel ist das Gegenteil von Geist. Er ist der Ungeist. Nicht etwa - um entsprechenden Mißverständnissen aus dem Weg zu gehen - die Materie. Denn auch die kann sehr wohl geistig eingesetzt werden. Geistig eingesetzt heißt vernünftig eingesetzt, heißt menschlich eingesetzt.

Also: das Töten von Menschen möchte am liebsten jeder abschaffen. Aber das System möchte noch längst nicht jeder abschaffen. Denn das bedeutete ja Aufgabe seiner privaten Bequemlichkeit. Und gerade um deretwillen möchten ja die meisten auch das Töten abschaffen. Wenn möglich, am liebsten auch noch den Tod. Sie sehen selbst - meine Damen und Herren - wie blödsinnig solches Argumentieren ist.

Es stimmt mit uns nicht! Es stimmt nichts. Das einzige, was in sich stimmt und deshalb so stark ist, ist die Logik der vordergründigen Bedürfnisse, ist die Logik unseres Egoismusses, unserer privaten Wehwehchen. Und weil nur das in sich stimmt, indem es nämlich in sich durchaus funktioniert und kreist, ist natürlich auch das Militär als staatliche Insitution der Weisheit letzter Schluß. Einer freilich wenig ermutigenden Weisheit. Dahin sind wir also gekommen: So stolz brauchen wir gar nicht zu sein. Wir sind es auch nicht; aber nur deshalb nicht, weil uns das Wasser allmählich bis zum Hals steht. Aber das ist doch - gemessen an der Tatsache, daß wir uns tagtäglich in unserem Menschsein, in unserem Geistsein verraten - wohl kaum erwähnenswert. Meine Damen und Herren - es muß ausdrücklich gesagt werden: Wir sind an allem selber schuld!

Und eben darin, nämlich daß wir an allem selber schuld sind, liegt der große menschliche Ausweg aus diesem Dilemma! So paradox es klingen mag! Erinnern wir uns: Das Dilemma entstand ja gerade dadurch, daß die Menschen glaubten, sie müßten sich mit allem abfinden, könnten nichts ändern, hätten deswegen ja auch keine Schuld!

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Und wie können wir etwas ändern? Zunächst dadurch, daß wir unser Bewußtsein dahingehend verändern, endlich zu begreifen, daß unser Egoismus tödlich ist. Weil er ungeistig ist. Daraus ergäbe sich ein größeres Hinwenden zu dem, was der Geist will. Alle die, die das begriffen haben, müßten Zusammenarbeiten. Müßten Erziehungsarbeit leisten. Müßten dahin erziehen, daß das Geistige eigentlich das selbstverständliche ist. Unermüdlich. Tag für Tag. Gewiß, eine unendliche Aufgabe. Aber sie wird Erfolg haben. Schrittehen für Schrittchen, Sorgfältig. Weil der Geist sehr sorgfältig ist.

Das ist utopisch, meine Damen und Herren? Unrealistisch? Wer das glaubt, ist schuld daran, daß er recht behält. Ein trauriges Recht. Denn wer das glaubt, hat resigniert. Und wer resigniert, bekennt sich zu dem Teufelskreis. Und wer sich dazu bekennt, ist an ihm schuld. Das ist eine teuflische Logik, die nicht zu durchbrechen ist. Merken Sie, daß sich keiner draushalten kann, wenn es um Fortschritt im eigentlichen schöpferischen Sinne geht! Merken Sie, wie wenig Privatsache diese meine Meinung ist?

Ich komme nun zum Schluß. Selbstverständlich habe ich ununterbrochen von den Kriegsdienstverweigerern gesprochen. Denn wir kann ich angesichts dieser Tatsachen noch Kriegsdienst leisten? Wie kann ich denn wagen, dadurch, daß ich die Früchte eines von mir verabscheuten Denkens esse, dieses Denken auch noch unterstützen? Das ist doch absurd - oder nicht? Aber, wie gesagt: Bloß den Kriegsdienst zu verweigern, das hieße: den Teufel mit Beelzebub austreiben wollen, Ich tue natürlich sehr viel mehr als den Kriegsdienst verweigern. Und das ist wichtig. Die Kriegsdienstverweigerung ist ja lediglich eine Konsequenz. Ich tue sehr viel mehr. Das hat mit Eitelkeit nichts zu tun, meine Damen und Herren! Aber meine Bescheidenheit reicht nun einmal nur soweit, als sie nicht unter mein Niveau sinkt. Ich tue sehr viel mehr als bloß den Kriegsdienst verweigern. Mein Ziel ist nämlich - und das ist wichtig - nicht die Bequemlichkeit. Daß ich selbstverständlich dauernd scheitere, besagt nichts gegen das von mir erstrebte Ziel, sondern besagt bloß was in Bezug auf meine Schwächlichkeit. Aber mit der finde ich mich nicht ab! Gerade die will ich ja bekämpfen. Aber nicht nur bei mir. Wir alle müssen uns zusammentun, damit es besser geht. Mit jedem von uns. Denn es kommt nur deshalb auf den einzelnen an, insofern es auf alle ankommt. Deswegen ist es auch relativ bedeutungslos, ob ich meinen Erfolg mit diesen Bemühungen noch massiv miterlebe. Es spielt keine Rolle. Eins steht fest: Der Tod kann nur das beenden, was sterben kann. Aber es gibt etwas, das nicht sterben kann. Der Geist. Denn er ist ja das Gegenteil von Tod. Das hat nichts mit naiver Gläubigkeit zu tun: es ist eine Selbstverständlichkeit. Menschen, die sich nicht am Geist orientieren, sind längst schon tot. Deswegen ist es ein Hirngespinst zu glauben, man könne sich auf das verlassen, was irgendwo irgendwann einmal in irgendeinem komischen Himmel oben über den Wolken geschieht. Aber eins ist genau so ein Hirngespinst: Nämlich zu glauben, daß das Leben ohne die Orientierung an dem, was unsterblich ist, Leben sei. Zu glauben, der Tod könne etwas beenden, was wichtiger ist als er.

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Deshalb bitte: Nicht immer argumentieren, wie rette ich meine Haut! Nicht so kleinlich sein. Es gibt was wichtigeres als unsere Haut. Nämlich das, was unsere Haut wichtig macht. Lebendig macht. Menschlich macht. Und wenn wir das - unserer Haut willen - aufgeben, haben wir schließlich auch unsere Haut aufgegeben. Das ist vollkommen klar. Merken Sie, wie wenig harmlos, wie wenig blutleer, wie wenig friedfertig (im schlechten Sinn) das ist, was ich mit Menschlichkeit meine?

Ich erwarte nun selbstverständlich, daß man mir nun sagt: Ist ja alles schön und gut, was Du uns da erzählst. Aber: An der Bedrohung, der tatsächlichen Bedrohung unserer möglichen Feinde, an der Existenzgefänrdung unseres Staates, unserer Familien usw., also an der Realität, die nun mal so verkorkst ist, können wir nicht vorbeisehen. Du bist ja bloß ein Theoretiker, der, wenn es darauf ankommt, vermutlich den Schwanz einzieht. Darauf schließlich noch eine Antwort:
Erstens meine ich ja, daß die Bedrohung von Waffen sehr schlimm ist, nicht aber etwas, das durch Waffen eigentlich geändert werden kann, daß also die eigentliche Bedrohung viel grundsätzlicher ist. Daß ich also als verantwortungsbewußter Mensch da mit der Arbeit einsetzen muß.
Zweitens, was heißt: wenn es darauf ankommt? Meine Damen und Herren, es kommt jetzt, in diesem Augenblick darauf an!
Drittens ziehe ich - wie gesagt - die Notwendigkeit des Menschlichen der Notwendigkeit eines falschen, wenn auch in sich stimmigen Systems vor. Und wenn das auch nur wenige tun, spricht das nicht gegen die, sondern gegen die anderen, die es versäumen. Damit freilich bin ich nicht zufrieden. Denn die anderen gehen mich etwas an. Also will ich versuchen, jeden dahinzuführen, wo ich selbst vielleicht zwar längst noch nicht bin, aber wohin ich will.
Viertens fordere ich jeden auf, mit uns zusammenzuarbeiten.
Fünftens bin ich realistischer, als es den Anschein hat. Es hat nämlich nur deswegen den Anschein von unrealistisch, weil es unter Realität bei weitem mehr versteht, als man gewohnt ist, darunter zu verstehen. Realität ist mehr, als man bloß anpacken, bloß schmecken, bloß riechen, bloß sehen, bloß hören kann.

Realität ist, daß bloß das Geistige Erfolg hat. Daß sich nur deswegen lohnt, was anzupacken, zu riechen, zu schmecken usw. Realität ist, daß wir endlich anfangen müssen! Und die Möglichkeit dazu müssen wir machen. Denn wo soll der Geist sein, wenn nicht in uns?

Seien wir also nicht bloß Kriegsdienstverweigerer, sondern folgen wir der Einberufung in die echte, menschliche Armee! Kämpfen wir bis zum Umfallen! Und diesen Krieg - meine Damen und Herren -
diesen Krieg werden wir gewinnen, darauf dürfen Sie sich verlassen!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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Johannes Stüttgen

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