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Henning Christiansen

1987-10-00

Modtager

Dokumentindhold

Åbent brev i anledning af retrospektiv-udstillingen med Joseph Beuys i Berlin i 1988/omgang med hans værker efter hans død

Transskription

Johannes Stüttgen:

Öffentliche Erklärung zu der geplanten "Joseph Beuys Retrospektive" in Berlin 1988

Wiederholt wurde in den letzten Monaten in den Medien die von Heiner Bastian verantwortete, für das kommende Jahr in Berlin geplante "Joseph Beuys Retrospektive" angekündigt. Das veranlaßt mich, auf etwas hinzuweisen, das mich nicht alleine bewegt, aber offenbar solange verdrängt wird, bis es zu spät ist. Tatsache ist nämlich, daß wie sonst bei keinem vergleichbaren Œuvre im plastischen Werk von Joseph Beuys Präsentation und Aufbau eines Großteils der Einzelanlagen ein nicht abtrennbarer skulpturaler Faktor erster Ordnung sind, der nicht nur auf die engeren und weiteren topologischen Besonderheiten des jeweiligen Umraums, sondern sogar auf das Zeitmoment seiner Fixierung abgestimmt ist. Diese variablen, aber um so intimeren und bis ins Kleinste austaxierten Feldzuordnungen der Einzelelemente waren so nur von Beuys seihst zu bewerkstelligen und schließen Zugriffe im nachhinein aus. Das gilt insbesondere für alle Rauminstallationen und die von Beuys persönlich zusammengestellten Vitrinen, beispielsweise die im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt. Diese hochempfindlichen Anlagen sind, erst einmal auseinandergenommen, womöglich unwiderruflich ausgeschaltet und weder mit Fingerspitzengefühl allein, noch mit dem Zentimetermaß rekapitulierbar. Sie werden besser erst einmal nicht angerührt. Ihr in der Eigenart des Beuyswerks begründeter, spezifischer Charakter als Funktion innerhalb einer plastischen Gesamtstrategie oder "Idee", die ihrerseits über die Einzelmanifestationen hinausgreift, ihnen aber gleichzeitig erst ihre Authentizität zuweist, erfordert eine Umsicht besonderer Art. Das sie konstituierende Integral "Plastik" ist noch gar nicht ermittelt.

So wirft der Tod von Joseph Beuys gerade im Hinblick auf den


Der Verfasser dieser Erklärung war bis zum Tod von Joseph Beuys neunzehn Jahre lang ein besonders naher Mitarbeiter, Schüler, und Freund des Künstlers. Unter seiner Mitwirkung erfolgte die Gründung und Realisation jener Arbeitszusammenhange, die den "Erweiterten Kunstbegriff" von Beuys und die Idee der Sozialen Skulptur" als Gestaltungsfaktor ins gesellschaftspolitische Feld einführten - so die "Deutsche Studentenpartei" (1967), die "Organisation für direkte Demokratie durch VolksabStimmung (1974)” die "Freie Internationale Universität" (FIU) (1977), deren Geschäftsführer er 1980-1986 war. Umfangreiche Vortrags- und Forschungstätigkeit, Beteiligung an zahlreichen Aktionen. Er arbeitet seit Jahren an einem grundlegenden Buch über die Lehrtätigkeit von Joseph Beuys und seinen Werk— und ldeenzusammenhang.

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Umgang mit den Arbeiten eine so vielschichtige Frage auf, daß man gut beraten wäre, sich für die nächsten Jahre äußerste Zurückhaltung aufzuerlegen. Derselbe Faktor, auf welchem die erstaunliche Wirkung und das Gewicht dieses Werks beruht, verpflichtet zu ungewöhnlicher Vorsicht. Dieser ebenso evidente, wie schwer zu vermittelnde Tatbestand ist, weil seine bloße Benennung sofort als Personenkult diskreditiert wird und nicht zuletzt massiven Geschäftsinteressen und Selhstdarstellungsgelüsten zuwiderläuft, völlig ungeschützt. Aber seine Nichtbeachtung wird zu einem Substanzverlust führen, der unverantwortlich ist.

Ist dieses durch den Tod von Joseph Beuys bewirkte ’plastische Vakuum' vielleicht eine ähnliche Provokation des Zeitgeistes, wie es vor Jahrzehnten jene Plastiken selber gewesen sind? Wird ihnen jetzt heimgezahlt, was sie seinerzeit ausgeteilt haben? Eine Kostprobe des in der Berliner "Retrospektive” im großen Stil Anvisierten bot die erst jüngst beendete Documenta in Kassel. Ein über alle Maßen kraftloses, geschmäcklerisch angepaßtes Rauminszenarium wurde, nur weil es sich bei den darin eingesetzten Elementen um von Beuys in der Tat für eine Installation "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" vorgesehene Originalteile handelte, bedenkenlos als Beuysinstallation ausgegeben. Die trotz mühsamer Hochstilisierung nicht zu verdeckende Kluft zu allem, was man von Joseph Beuys selber bis dahin gesehen hatte, wurde pikanterweise dann auch noch einer mysteriösen, Beuys angedichteten Kurs-Generalkorrektur zugeschoben! Ein nicht weniger fatales Bild lieferte der aus gleicher Hand erfolgte, unqualifizierte Ausstellungsaufbau u.a. von zusammengewürfelten Teilen der Installation "Hirschdenkmäler" (Berlin 1982) im Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum, eskortiert von einem Katalog mit Edeltexten für den Zeitgeschmack. Wird also eine hochkarätige Hinterlassenschaft schneller, als es sowieso zu befürchten war,
heruntergewirtschaftet, bis zuguterletzt - die buchstäbliche Perversion Beuys' eigener Ankündigung — wirklich nur noch die "Unsichtbare Skulptur" übrigbleibt?

Zwei sich leicht aufdrängenden Mißverständnissen soll hiervon vorneherein vorgebeugt werden. Diese gegen die Vorgehensweise von Heiner Bastian gerichtete Initiative hat nichts mit "Diadochenkampf" zu tun. Sie gilt ausschließlich der Sorge um den Schutz und Erhalt eines hohen Kulturgutes und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die spezifische Problematik im Umgang mit dem Beuys-Werk. Sie gründet auf sachlichen, wenn auch in der Regel verdrängten Gesichtspunkten, deren allgemeine Akzeptanz aber schon für bald absehbar ist. Wenn sich dennoch einige, die das genau wissen, so auffällig verdeckt halten, dann nur, weil sie längst in irgendeiner Weise mit jenem Berliner Großprojekt verfilzt sind. Zweitens vertrete ich nicht etwa die dogmatische Auffassung, man müsse Beuys-Installationen gleichsam für alle Ewigkeit da, wo sie sich nun einmal befinden, fixieren. Das wäre in der Tat ein zwanghaftes, rückwärtsgewandtes und dem Beuys'sehen Geist zuwiderlaufendes - kurz: ein unkünstlerisches Bild. Ich verweise vielmehr auf den wesentlichen Fak-

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tor "Zeit”, der ganz von selbst und auf organische Weise völlig neue qualifizierte Gesichtspunkte und Befähigungen fur.den Umgang mit diesen Dingen zutage fördern wird, wenn man sich ihnen nur entschieden genug hingibt - nur, so weit sind wir zwei Jahre nach dem Tod von Beuys noch nicht. Das Verhängnis liegt eben in der (hochverdächtigen) Hast solcher zum jetzigen Zeitpunkt weder in der Sache, noch in irgendeinem Bedarf begründeter, regelrecht mit der Brechstange zustandegebrachter und bloß spektakulärer Aufführungen wie der in Berlin. Ein größerer Widerspruch dieser Praxis zu dem, worauf Joseph Beuys selber in seiner letzten Rede keine zwei Wochen vor seinem Tod anlaßlich der Verleihung des Wilhelm-Lehmhruck-Preises in Duisburg vermächtnishaft hingewiesen hat, ist gar nicht denkbar: “... Ich meine (...) die weitere Entwicklung des plastischen Prinzips als Zeitprinzip schlechthin...”!

Auf ieden Fall aber ist jetzt schon all den Museen und Sammlern Respekt zu zollen, welche die Herausgabe ihrer Exponate für jene Mammutshow in der nächstjährigen "Kulturstadt Europas" verweigert haben.

[Johannes Stüttgen]
Düsseldorf, Oktober 1987

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